Die Kramerinnung
Die Kramerinnung war ein Zusammenschluss der Kleinhändler, die die Einwohner der Stadt mit den täglich benötigten Waren versorgten. Der Zusammenschluss half, ihre Interessen gegenüber anderen Innungen, auswärtigen Händlern, dem Rat der Stadt und dem Landesherrn zu vertreten. Außerdem versuchte man, durch die Innung untereinander faire Handelsbedingungen zu organisieren.
Das Gründungsdatum der Innung ist nicht bekannt. In der schriftlichen Überlieferung erscheint 1278 erstmals ein Leipziger Kramer. Die sichere Existenz der Innung ist für das 15. Jahrhundert belegt. Vom Ende des Jahrhunderts sind Regeln für den Beitritt zur Innung und eine eigene Innungsordnung überliefert. Von dieser Zeit an wurden die Innungsartikel regelmäßig überarbeitet und an die veränderten Verhältnisse in Stadt und Land angepasst. Die Ordnungen wurden bis 1604 vom Rat der Stadt Leipzig bestätigt und danach vom Landesherrn.
Mitglieder der Innung waren zunächst Kleinhändler aus Leipzig. Mit der wachsenden Bedeutung der Stadt im überregionalen Handel, verdrängten um das Jahr 1500 zugewanderte Händler die Einheimischen. Im 17. Jahrhundert entstammten die Mitglieder sowohl den in Leipzig verwurzelten Familien als auch den aus anderen Regionen des Reichs zugewanderten Händlern. Die Kramer waren bestrebt, durch eheliche Verbindungen und durch Lehrjahre des Nachwuchses bei Händlern anderer Städte nicht nur überregionale, sondern auch internationale Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.
Zunächst unterstanden die Kramer der Aufsicht landesherrlicher Beamter. Spätestens seit dem 15. Jahrhundert wählten sie sich ihre eigenen Kramermeister.
Die Innung verfügte über ihre eigenen Finanzen, die sich vorwiegend aus Beitrittsgeldern, Abgaben der Kramer, Strafgeldern für Verstöße gegen die Innungsartikel und Zinsen für verliehenes Kapital speisten. Verwendet wurde das Geld für u. a. Veranstaltungen der Innung, Unterstützung eigener Mitglieder und soziale Zwecke. Die Überwachung der Finanzen und die Rechnungslegung war Aufgabe der Innungsmeister.
Nach dem 30jährigen Krieg gelang es der Innung eine weitgehende Monopolstellung im Leipziger Kleinhandel zu erreichen. Erst mit der beginnenden Industrialisierung und der Liberalisierung des Handels ging diese Stellung verloren.
Im Jahr 1681 schlossen sich die Leipziger Großhändler zu einer eigenen Organisation zusammen – der sogenannten Handelsdeputation. Ab 1688 arbeiteten die Kramermeister und die Handelsdeputierten in für sie beide wichtigen Angelegenheiten zusammen. Sie verfassten u. a. gemeinsame Stellungnahmen bzw. Gutachten. Dabei sprachen sie sich gegen alle Arten von Handelsbeschränkungen aus, insbesondere gegen Zölle und Vorschriften zu Handelswegen. Während des gesamten 18. Jahrhunderts argumentierten sie immer wieder gegen verschiedene Verbrauchersteuern und hier vor allem gegen die 1705 eingeführte General-Konsumtions-Akzise. Alles was dem Leipziger Handelsplatz förderlich war, unterstützten sie hingegen. So sprachen sie sich beispielsweise für die Förderung der einheimischen Manufakturen aus. Ein besonderes Anliegen beider Organisationen war eine klare Handelsgesetzgebung, die man in den Bereichen „Konkurswesen“, „Münzwesen“ oder „Banken- und Versicherungswesen“ durch eigene Vorschläge vorantrieb.
1805 versuchten Kramer und Handelsdeputierte eine Handelskammer für Sachsen mit Sitz in Leipzig zu gründen, womit sie allerdings scheiterten.
1829 wurde die schon längere Zeit praktizierte enge Zusammenarbeit zwischen Kramerinnung und Handelsdeputierten auch durch einen Vertrag befestigt.
Mit dem „Gesetz über die Handels- und Gewerbekammern“ in Sachsen vom 15. Oktober 1861, das am 1. Januar 1862 in Kraft trat, kam das Ende für die gewerbepolizeilichen Rechte und die beratende Funktion der Kramerinnung sowie für ihre Rolle als Interessensvertretung des Leipziger Handels und Verkehrs. Das Vermögen sollte durch eine „Kramer-Stiftung“ verwaltet und insbesondere für die Erhaltung und Fortführung der Handelslehranstalt eingesetzt werden. Am 22. Oktober 1886 löste sich die Innung auf.
Quellen:
Bünz, Enno, Kaufleute und Krämer, in: Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Reformation. Unter Mitwirkung von Uwe John hrsg. von Enno Bünz, Leipzig 2015, S. 299-318.
Biedermann, Karl, Geschichte der Leipziger Kramer-Innung 1477 - 1880, Leipzig [1881].
Moltke, Siegfried, Leipzigs Handelskorporationen (Kramerinnung, Handlungsdeputierte, Handelsvorstand, Handelsgenossenschaft, Die Leipziger Kaufmannschaft und die Kommunerepraesentation), Leipzig 1907.
Kramerkinder heiraten Kramerkinder
Familiäre Netzwerke
Der Wohlstand vieler Kramerfamilien ging im Wesentlichen aus einem verzweigten Handel hervor und dieser beruhte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit vornehmlich auf Netzwerkstrukturen. Das Rückgrat unternehmerischer Vernetzungen dieser Zeit waren verwandtschaftliche und familiäre Bindungen. Man kann ein Ineinandergreifen von Verwandtschaft und Kaufmannschaft beobachten. Verwandtschaft musste gepflegt und regelmäßig aktualisiert werden. Dazu dienten vor allem die „drei großen lebenszyklischen Zäsuren Geburt, Heirat und Tod“. Nach der Geburt eines neuen Familienmitglieds spielte die Wahl der Taufpaten eine wesentliche Rolle, um bestehende Verbindungen zu erneuern und um das Kind von Anfang an in bestehende Netzwerke einzubetten. Naheliegend zur Frage der Patenschaften ist das Thema Vormundschaft − etwa für unmündige Kinder, aber auch für Frauen bei Rechtsgeschäften. Bei der Wahl der Vormünder wird deutlich, dass neben dem unmittelbaren wirtschaftlichen Aspekt auch ein „politischer“ eine Rolle spielte. Gute Verbindungen zu den Stadtoberen halfen, geschäftliche Erfolge zu sichern.
Wenn Sprösslinge aus einer Händlerfamilie im Jugendalter ihre Eltern verloren, was in der Frühen Neuzeit keine Seltenheit war, wurden in der Regel andere Händler als Vormünder gewählt. So ist beispielsweise vom späteren Krämermeister Joachim Göring aus dem fränkischen Hof, der 1638 mit 12 Jahren Waise wurde, überliefert, dass er und seine Geschwister unter der Vormundschaft von Johann Bohn, Handelsmann und späterer Kramermeister in Leipzig, aufwuchsen.
Häufig war die Vormundschaft gleich mit einer entsprechenden Ausbildung verbunden. Andreas Dietrich Apel kam 1674 nach dem Tod seines Vaters ebenfalls mit 12 Jahren nach Leipzig und begann beim Seidenhändler Jonas Barniske (1632-1700) eine Lehre. Diese Verbindung sollte ein ganzes Leben bestehen und war die Grundlage für Apels Aufstieg. 1690 wurde er Teilhaber des Seidenhändlers und heiratete ein Jahr später Barniskes einzige Tochter, Dorothea Elisabeth.
Auch wenn die Leipziger Kramerinnung eine exklusive Vereinigung war, die durch ihrer Innungsartikel verschiedene Bedingungen für den Zutritt zu diesem Kreis definierte, wird doch deutlich, dass der Eintritt auswertiger Kramer in die Innung durchaus erwünscht war, erweiterte dies doch das Netz der Handelsverbindungen. Der schon genannte Joachim Göring stammte aus Hof, Heinrich von Seelen aus Frankental in der Pfalz, Johann Conrad Plitz aus Weiden in der Oberpfalz und Valentin Bauer aus Lauterbach in Böhmen - alles spätere Kramermeister mit „Migrationshintergrund“, die durch eine Ausbildung in Leipzig und/oder durch eine Heiratsverbindung in eine Leipziger Kramerfamilie den Weg in die Innung fanden.
Johann Conrad Plitz aus Weiden etwa gelang der Einstieg in ein etabliertes Geschäft über die eheliche Verbindung mit einer Kramerwitwe. So wurde er 1632 Handelsdiener bei der Witwe von Johann Leonhard Weickmann und half ihrem Geschäft über die wirtschaftlich schwere Zeit während des 30jährigen Kriegs. 1634 heiratete er die Witwe. Nach deren Tod im Jahr 1937 heiratete er 1639 erneut. Seine zweite Frau war Magdalena, Tochter von Zacharias Finsinger, Handelsmann in Leipzig. 1656 heiratete er als dritte Frau Getraude, die Witwe von Zacharia Kramer, die als eine geborene Platz ebenfalls aus einer bekannten Kramerfamilie stammte.
Die zweite Generation dieser Zuwanderer verband sich aber fast ausschließlich mit den Kindern Leipziger Händler.
Anna Catharina, erste Tochter von Heinrich von Seelen, der die Witwe von David Mörlin, Handelsmann und Stadtfähnrich in Leipzig geheiratet hatte, ehelichte Christian Born, Bürger und Handelsmann in Leipzig. Heinrichs Sohn, Johann Heinrich, verband sich mit Marie Magdalena, der Tochter des Leipziger Händlers Matthias Kleinaue.
Ähnliches ist bei Hieronymus Schmidt zu beobachten, dessen Wurzeln in Nürnberg lagen. Der 1630 zum Kramermeister gewählte Schmidt hatte nach einer Ausbildung beim Handelsmann Hans Wolf und der 1606 erfolgten Gründung eines eigenen Geschäfts zunächst Maria geheiratet, eine Tochter des Leipziger Händlers Hans Werchaw, und nach deren Tod 1628 Lucretia geb. Hanemann, die Witwe des Leipziger Händlers Jeremias Schwartz. Die Kinder aus erster Ehe heirateten in Leipziger Handelsfamilien – die Tochter Maria den Händler Georg Freiden und der Sohn Hans ehelichte Anna Getraude, Tochter von Paul von Heintzberg, Bürger, Handelsmann und Stadtfähnrich in Leipzig.
Auch beim Tod eines Krämers werden die Netzwerke deutlich, in denen er sich zu Lebzeiten bewegt hatte. Speziell Leichenpredigten belegen das. Insbesondere die Epicedien wurden sehr häufig von Freunden, Förderern und anderen nahestehenden Personen verfasst und der gedruckten Fassung der Predigt beigefügt. So lieferten zum Beispiel für die Leichenpredigt des Leipziger Kramers Andreas Eggert nicht nur Geistliche der Stadt oder Verwandte des Verstorbenen kleine Trauergedichte, sondern auch Johann Friedrich Falckner, der aus einer alten Leipziger Händlerfamilie stammte und später Bürgermeister der Stadt wurde, Simon Löffler, Sohn des gleichnamigen Kramermeisters, der Kaufmann und Ratsherr Paul Winckler und Christian Brummer, der ebenfalls einer bekannten Leipziger Kramerfamilie entstammte.
Man kann also zusammenfassen: Familiäre Netzwerke waren Grundlagen für einen erfolgreichen Handel, ermöglichten den wirtschaftlichen Aufstieg und halfen, das erlangte Vermögen im engeren Kreis zu bewahren. Die Krämerinnung war gewissermaßen eine große Familie.
Quelle: Jöcher, Christian Gottlieb, Denck- und Ehren-Mahl Herrn Andreas Dietrich Apels, Berühmten Kauff- und Handels-Mann wie auch Cramer-Meisters in Leipzig / [Gehalten von M. Christian Gottlieb Jöchern, der Heil. Schrifft Baccal. ...], Leipzig 1718.
Carpzov, Johann Benedikt, Der Heiligen erleuchtete Augen unter der Trübsal/: bey ... Leichbestattung des ... Herrn Joachim Görings ... Handelsmanns und Crahmermeisters in Leipzig/ in damahliger Leich-Predigt über den Spruch 2. Cor. IV, 17. 18. (Unsere Trübsal ist die zeitlich und leicht ist/ [et]c.) den 22. Octobris, Anno 1689. in der Paulinerkirchen vorgestellet…, Leipzig 1689.
Quelle: Müller, Daniel: Seelen-Stillung und Zufrieden-Stellung Königes Davids/ Auß diesen ... : Bey ... Leichbestattung Des ... Herrn Johann ... , Leipzig 1679.
Lehmann, Georg Der Christliche Kauffmann/ Dessen Person Der ... Herr Andreas Egger/ Weit-berühmter Handelsmann allhier/ Beydes in seinem Leben/ als auch in seinem seligen Tode…, Leipzig 1671.
Jens-Uwe Krause, Michael Mitterauer (Europäische Kulturgeschichte 1), Stuttgart 2003, S. 160–363, hier S. 200.