Gesetzliche Unfallversicherung in der Berufsgenossenschaft
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sind die Berufsgenossenschaften. Beitragspflichtig zur Berufsgenossenschaft sind grundsätzlich die Unternehmen, die die Aufgaben der Berufsgenossenschaft finanzieren. Die Berufsgenossenschaft soll nach Eintritt eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit den Verletzten, seinen Angehörigen und Hinterbliebenen entschädigen.
1. Verfahren
Die Berufsgenossenschaft erlässt zunächst einen Aufnahmebescheid. Hierdurch wird die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft begründet. Daraufhin folgt dann ein Veranlagungsbescheid, der für mehrere – höchstens sechs – Jahre gültig ist, und zwar für die Dauer des Gefahrtarifs der jeweiligen Berufsgenossenschaft. Der Gefahrtarif ist eine Rechtsnorm (Satzung) einer Berufsgenossenschaft und dient zur Berechnung des Unfallversicherungsbeitrags für einzelne Unternehmen. Er kann von den Unternehmen nicht selbstständig mit Rechtsmitteln angegriffen werden.
Der Veranlagungsbescheid ist Grundlage des Beitragsbescheids. Dieser ergeht jeweils für ein Kalenderjahr und beziffert den zu zahlenden Beitrag.
Die Möglichkeit, Einwendungen gegen den Gefahrtarif vorzubringen, besteht nur durch Rechtsmittel gegen den Veranlagungsbescheid, nicht gegen den Beitragsbescheid.
Aufnahme-, Veranlagungs- und Beitragsbescheid können jeweils mit einem Widerspruch binnen Monatsfrist und – im Fall der jeweiligen Ablehnung des Widerspruchs – anschließend mit einer Klage angegriffen werden.
2. Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft
Die unterschiedlichen zugehörigen Berufsgenossenschaften entscheiden auch über die Beitragshöhe. Die Beiträge werden im Umlageverfahren erhoben, weshalb der Aufwand der jeweiligen Berufsgenossenschaft einer der maßgeblichen Faktoren für die Beitragsberechnung ist.
a) Zuordnung zu einer Berufsgenossenschaft
Die Zuordnung eines Unternehmens zu einer Berufsgenossenschaft erfolgt aufgrund eines aufgestellten Verzeichnisses der Gewerbezweige. Da eine Vielzahl heutiger Gewerbezweige darin nicht aufgeführt ist, erfolgt für diese eine Zuordnung nach der entsprechenden Sachnähe zu einem Gewerbe.
Maßgeblich für die Zuordnung ist der Gewerbezweig des Hauptunternehmens, also der Schwerpunkt seiner Tätigkeit, nicht die überwiegende Zahl der versicherten Arbeitskräfte oder die überwiegende Summe der Entgelte. Eine Zuweisung zu einer anderen Berufsgenossenschaft, auch auf Antrag eines Unternehmens, erfolgt nur, wenn der bisherige Aufnahmebescheid den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspricht oder zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde.
b) Zuständigkeit einer anderen Berufsgenossenschaft
Bei einer nachhaltigen und wesentlichen Änderung der Unternehmensstruktur kann das Unternehmen die Zuweisung an eine andere Berufsgenossenschaft verlangen.
Es ist allerdings zu beachten, dass eine einmal begründete formelle Zuständigkeit bis zur Aufhebung durch Überweisung fortdauert. Etwas Anderes kommt nur dann in Betracht, wenn eine Ausgliederung das Erlöschen des bisherigen Unternehmensteils und die Eröffnung eines neuen Unternehmens mit vollständig neuer wirtschaftlicher Zweckrichtung bei einem Wechsel des Unternehmers mit sich bringt.
3. Einwendungen gegen Gefahrtarif
Der Gefahrtarif ordnet die verschiedenen Unternehmensarten einer Berufsgenossenschaft verschiedenen Gefahrtarifstellen zu. Darin sollen Unternehmen mit gleichartigen
Unfallrisiken zusammengefasst und sog. Gefahrengemeinschaften gebildet werden. Maßgeblich für die Gefahrklasse und damit für die Beitragshöhe ist der Unfallaufwand für die Unternehmensart, nicht für das einzelne Unternehmen.
a) Bezeichnung des Gewerbes
Bei Einwendungen gegen den Gefahrentarif ist zunächst zu prüfen, ob auf das einzelne Unternehmen die in der Gefahrtarifstelle aufgenommene Bezeichnung des Gewerbes im
Sinne der Gefahrengemeinschaft wirklich zutrifft. Im Einzelfall kann es auf die Auslegung des Gefahrtarifs ankommen.
b) Tätigkeiten im Büro
Gefahrtarifstellen nach Gewerbezweigen werden gelegentlich nach den Tätigkeiten der einzelnen Mitarbeiter untergliedert. So werden etwa ausschließlich im Büro mit
kaufmännischen oder verwaltenden Tätigkeiten beschäftigte Personen gesondert veranlagt, weil sie ein geringeres Unfallrisiko haben als die in der Produktion Beschäftigten.
c) Beobachtungszeitraum
Im Gefahrtarif sind für die einzelnen Gefahrtarifstellen Gefahrklassen als Faktor für die Beitragsberechnung festzusetzen. Die Gefahrklasse ist aus den Unfallaufwendungen zu
berechnen, dividiert durch die Arbeitsentgelte der Tarifstelle im Beobachtungszeitraum. Der Beobachtungszeitraum geht also der Aufstellung des Gefahrtarifs voran.
Der Beobachtungszeitraum muss mehrere – in der Regel fünf – Jahre betragen. Er wird von der Vertreterversammlung der Berufsgenossenschaft festgelegt.
d) Nachvollziehbarkeit
Die Ermittlung der Gefahrklasse ist eine reine Rechenoperation. Daher führen geringfügige Fehler bei der Ermittlung der Unfallaufwendungen oder Arbeitsentgelte nicht zur
Rechtswidrigkeit der Satzung. Die Gefahrklassen müssen nicht nachrechenbar, aber nachvollziehbar sein und auf gesichertem Zahlenmaterial fußen sowie versicherungsmathematischen Grundsätzen entsprechen. Werden jedoch Arbeitsentgelte mehrerer Arbeitnehmergruppen den Tarifstellen durchgehend nicht zutreffend oder
nicht einheitlich zugeordnet, führt dies zur Rechtswidrigkeit des Gefahrtarifs. Insbesondere bei der Zuordnung der Arbeitsentgelte zu mehreren Tarifstellen für dieselbe Unternehmensart bei einem Tätigkeitstarif (z. B. Produktion einerseits und Büro andererseits) ist die Berufsgenossenschaft auf zutreffende Angaben der Unternehmen angewiesen.
e) Gleichheitsgrundsatz
Unfallaufwendungen im Beobachtungszeitraum können für die Berechnung der Gefahrklasse auf verschiedene Weise berücksichtigt werden. Es können nur Neulasten, nur Altlasten, Neu- und Altlasten kombiniert oder nur Rentenneulasten Berücksichtigung finden. Das Verfahren muss für alle Tarifstellen einheitlich sein. Durch einen Neulasttarif werden Tarifstellen mit hohen Altlasten, also Unternehmensarten, deren Zahl und Umfang aus wirtschaftlichen Gründen wegen Strukturänderungen zurückgehen, begünstigt.
f) Mehrere Unternehmensarten
Innerhalb einer Tarifstelle muss ein versicherungsmäßiger Risikoausgleich gegeben sein, um Zufallsschwankungen auszugleichen. Hierfür ist erforderlich, dass eine ausreichend große Zahl von Versicherten einer Tarifstelle zugeordnet wird.
Besteht bei einer bestimmten Unternehmensart ein vom Durchschnitt der Unternehmensarten einer Gefahrtarifstelle erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko, ist für diese Unternehmensart entweder eine eigene Gefahrtarifstelle zu bilden oder sie ist einer anderen Gefahrtarifstelle mit gleichartiger Gefährdung zuzuordnen. Zulässig ist auch die Bildung einer gemeinsamen Tarifstelle für Unternehmen, die zuvor getrennt veranlagt worden sind. In einer Gefahrtarifstelle sind Unternehmensarten mit annähernd gleichen Unfallrisiken zusammenzufassen, wobei die Berufsgenossenschaften nicht verpflichtet sind, Gefahrtarifstellen für bestimmte Unternehmensteile derselben Unternehmensart mit geringerer Gefahr zu bilden. Insoweit ist ihnen ein Ermessen eingeräumt. Anders ist es bei der Zusammenfassung mehrerer Unternehmensarten mit unterschiedlichen Unfallrisiken in einer Gefahrtarifstelle. Kleine Unternehmensarten dürfen nicht mit den stärkeren Risiken größerer Gewerbezweige belastet werden. Eine kontinuierliche Belastungsabweichung von -36,5 % bis +36,2 % war nach Auffassung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 12.12.1985 - 2 RU 40/85) zu groß.
4. Verfahren gegen einen Veranlagungsbescheid
Mit der Aufhebung des Veranlagungsbescheids wird auch der Beitragsbescheid rechtswidrig. Gegen ihn ist durch Widerspruch und ggf. dann durch Klage vorzugehen. Sind die Fristen versäumt worden, ist ein Abänderungsantrag zu stellen.
5. Verfahren zum Beitragsausgleich
Jede Berufsgenossenschaft muss in ihrer Satzung Zuschläge und/oder Nachlässe für einzelne Unternehmen mit besonders hohen oder geringen Unfallaufwendungen vorsehen. Das Versicherungsprinzip, welches die Beiträge nach den Unfallaufwendungen aller Unternehmen einer Gefahrtarifstelle bemisst, wird hierdurch durchbrochen, um einen finanziellen Anreiz zur Unfallverhütung zu schaffen.
6. Beitragsberechnung für Unternehmensteile
Unternehmen können mit einem Hauptunternehmen gesellschaftsrechtlich eine Einheit bilden, jedoch aufgrund der andersartigen Betriebsabläufe eine geringere oder höhere Unfallgefahr haben. Sie sind dann einer anderen Berufsgenossenschaft als das Hauptunternehmen zuzuordnen, und zwar der Berufsgenossenschaft, die für sie als eigenständiges Unternehmen zuständig wäre. Die getrennte Zuordnung führt zur Veranlagung nach der bei der anderen Berufsgenossenschaft für diese Unternehmensart geltenden Gefahrtarifstelle. Dies gilt nur, wenn für die Unternehmensart eine andere Berufsgenossenschaft als für das Hauptunternehmen zuständig wäre.
7. Änderung eines Veranlagungsbescheides
Eine für das Unternehmen zu günstige unberechtigte Veranlagung kann die Berufsgenossenschaft rückwirkend ändern, wenn das Unternehmen die unrichtige Veranlagung verursacht hat, insbesondere durch unrichtige Angaben zum Unternehmensgegenstand oder zur Tätigkeit der Mitarbeiter. Fristen muss die Berufsgenossenschaft hierbei nicht einhalten. Ist die fehlerhafte Veranlagung dagegen nicht von dem Unternehmen zu vertreten, weil die Berufsgenossenschaft bspw. zutreffende Angaben falsch interpretiert hat, ohne Unklarheiten durch Nachfrage zu beseitigen, kann sie nur unter Beachtung von Fristen die Veranlagung ändern.
8. Beitrag
Maßgebend für die Beitragsberechnung ist einmal der Beitragsfuß. Dieser wird für jedes Jahr von der Berufsgenossenschaft für alle Unternehmen, die ihr angeschlossen sind, einheitlich festgestellt. In ihn geht der gesamte Finanzbedarf für das jeweilige Jahr ein. Der Beitrag für das einzelne Unternehmen wird sodann durch Multiplikation des Beitragsfußes mit der Lohnsumme des Unternehmens und der Gefahrklasse des jeweiligen Unternehmens berechnet. Durch die Gefahrklasse fließt also das Unfallrisiko der jeweiligen Unternehmensart (nicht des Einzelunternehmens) in den Beitrag ein.
9. Betriebsprüfung
Die Träger der Rentenversicherung teilen den Berufsgenossenschaften die Feststellungen aus der Betriebsprüfung bei den Arbeitgebern mit. Die Berufsgenossenschaften erlassen daraufhin die erforderlichen Bescheide. Dies gilt insbesondere in Fällen der festgestellten Scheinselbstständigkeit. Dann werden Vergütungen, die an Scheinselbständige – beitragsfrei – bezahlt wurden, nun als Arbeitsentgelt auch in der Berufsgenossenschaft verbeitragt. Die Berufsgenossenschaften können ihrerseits bei den Unternehmen Prüfungen durchführen, z. B. darüber, ob der Unternehmer die Löhne zur richtigen Gefahrklasse (gemäß dem Veranlagungsbescheid)
gemeldet hat.
Hinweise: Die Veröffentlichung von Merkblättern ist ein Service der IHK zu Leipzig für ihre Mitgliedsunternehmen. Dabei handelt es sich um eine zusammenfassende Darstellung der fachlichen und rechtlichen Grundlagen, die nur erste Hinweise enthält und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es kann eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen.
Aktualisierung: Januar 2020