Wissenschaft, Wirtschaft, KI und Verantwortung
15. Januar 2024Der in Leipzig geborene Wissenschaftsminister des Freistaats Sachsen Sebastian Gemkow war vor diesem Amt Staatsminister der Justiz unseres Landes. Dies kommt ihm jetzt zugute, da gerade bei den derzeitigen Prozessen in der Wissenschaft auch rechtliche Einsichten vonnöten sind. Die Regulierung der KI durch den europäischen AI Act steht kurz vor dem Abschluss beispielsweise. Dass schlussendlich auch die Wirtschaft von den Entwicklungen in der sächsischen Forschung partizipiert, hat Sebastian Gemkow ebenfalls im Blick. WIRTSCHAFT ONLINE sprach mit ihm:
WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Herr Gemkow. Die Gesellschaft sowie gerade die regionale Wirtschaft sind Transformationsprozessen unterworfen. Hier ist die Wissenschaft als Struktur aufgerufen, Antworten auf Fragen zu liefern, welche auch praktisch umsetzbar sind. Dafür fand am 3. Februar 2023 in der Kongresshalle des Zoos Leipzig die Auftaktveranstaltung zur Kampagne SPIN2030 statt. Was ist SPIN2023 konkret?
Herr Gemkow: Mit SPIN2030 unterstützt das Sächsische Wissenschaftsministerium die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, noch sichtbarer zu werden. Für viele ist z. B. Spitzenforschung etwas, das weit weg ist. Tatsächlich passiert viel Spannendes und Spektakuläres an den Wissenschaftseinrichtungen direkt vor unserer Haustür. Über Roadshows, Veranstaltungen, Social-Media-Kampagnen, eine interaktive Karte und viele andere Formate machen wir die Strukturen und Besonderheiten, die Forschungsergebnisse und die Exzellenz unseres Wissenschaftslandes sachsenweit, national und international erlebbar.
WIRTSCHAFT ONLINE: Schaue ich mir auf der Homepage wissenschaft.sachsen.de Bilder von SPIN2030 an, sehe ich hier viel Robotik, welche ja dann Einfluss auf herstellungstechnische Prozesse hat. Wie verknüpft sich die sächsische Wissenschaft mit der regionalen Wirtschaft? Welche Netzwerke gibt es und wie können Interessierte aus der regionalen Wirtschaft partizipieren?
Herr Gemkow: Robotik hat natürlich etwas Faszinierendes, für den ein oder anderen vielleicht auch etwas Respekteinflößendes. Aber tatsächlich geht es uns darum zu zeigen, wie viel auch sächsisches Know-how in den modernsten Robotik-Anwendungen steckt. In unserem Industrieland hat die Robotik ihren festen Platz. In der Produktion genauso wie in der Logistik. Die Technologie wird in sächsischen Forschungseinrichtungen ständig weiterentwickelt, und zwar zusammen mit Partnern und Netzwerken aus der Wirtschaft. So finden Innovationen regelmäßig den Weg in kleine und mittlere Unternehmen bei uns in Sachsen, die damit ihre Produktivität, ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern. Und die Robotik ist da nur ein Bereich von vielen. Von Forschungsergebnissen in unseren Hochschulen… gerade auch an den Fachhochschulen könnten aber noch viel mehr Unternehmen in Sachsen profitieren. Wir haben es uns deshalb auch zur politischen Aufgabe gemacht, das noch mehr zu fördern. Forschung und Entwicklung kosten Geld und es benötigt Strukturen, in denen die richtigen Menschen zusammenkommen, die es für eine erfolgreiche Produktentwicklung und dann vor allem Markteinführung braucht. Von Seiten der Wirtschaft gibt es gute Initiativen. Aber auch aus der Wissenschaft heraus gibt es hier großes Potenzial. Das wollen wir heben und haben dazu eine Strategie aufgesetzt, die den Transfer, also die Überführung von wissenschaftlichen Erkenntnissen in Anwendungen und wirtschaftliche Wertschöpfung in den Fokus nimmt.
WIRTSCHAFT ONLINE: Von der Robotik zum Thema KI ist es eigentlich nicht einmal ein kleiner Schritt, die Übergänge sind eher fließend. KI ist ein unreguliertes Phänomen, viele Institutionen forschen und entwickeln weltweit, nur gibt es keine bindenden Rahmen, was die Forschung logischerweise risikoreich macht. Gibt es in Sachsen eigentlich Selbstverpflichtungen der Wissenschaft, gerade nicht an inhumanen oder gefährlichen Systemen zu arbeiten? Wie funktioniert Selbstkontrolle ohne einen Rechtsrahmen?
Herr Gemkow: KI ist als Technologie in meinen Augen kein Phänomen. Dass künstliche Intelligenz als solches wahrgenommen wird, hängt vor allem mit der medialen Debatte rund um das Thema zusammen.
Und natürlich sind wir alle auch durch jahrzehntelange filmische Darstellungen von künstlicher Intelligenz geprägt… ja, gerade zu konditioniert. Künstliche Intelligenz wurde uns in Filmen und Berichten in den meisten Fällen als Bedrohung für die Menschheit vermittelt. Am Ende steht meist die Utopie, dass künstliche Intelligenz ein eigenes Bewusstsein entwickelt, damit dem Menschen überlegen ist und ihm auch schaden kann. Oder die vermeintliche Bedrohung spielt sich auf einer anderen Ebene ab, wie in der Diskussion um ChatGPT, wo unter anderem darauf verwiesen wird, dass mit einem solchen Programm dem Betrug Tür und Tor geöffnet wird, weil z. B. ein Text von der KI erstellt wurde und eben nicht von einem Menschen. Wie mit jeder neuen Technologie kommt es auch bei KI darauf an, dass wir als Menschen den verantwortungsvollen Umgang damit lernen und organisieren. Es braucht sicherlich einen regulatorischen Rahmen. Der muss aber so ausgestaltet sein, dass wir uns damit der Chancen, die KI uns bietet, nicht von vornherein berauben. Viele Geschäftsmodelle von heute und auch in Zukunft werden auf dieser Technologie aufbauen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Im Themenheft „Künstliche Intelligenz“ der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ welche als Beilage der Zeitschrift „Das Parlament“ fungiert, äußern sich diverse Expertinnen und Experten zum Thema. Gerade die AI Act, welche 2024 von der EU beschlossen werden soll, wird stark beleuchtet. Diese Gesetzgebung greift dann intensiv ins wissenschaftliche Forschen ein. Wie steht Ihr Haus zu den rechtlichen Entwicklungen?
Herr Gemkow: In Deutschland ist die Freiheit der Forschung verfassungsrechtlich garantiert. Dies gilt zunächst unabhängig vom Forschungsthema. Insofern mache ich mir hier keine Sorgen, dass es durch den AI Act zu größeren Beschränkungen in der Forschung kommt. Viel entscheidender ist die Frage, wie kann der Missbrauch der Technologie beschränkt werden. Es wird sicherlich nicht gelingen, dies zu 100 Prozent auszuschließen. Die ethische und damit gesellschaftliche Debatte dazu schärft aber das Bewusstsein auch in der Forschungscommunity, sich sensibel mit dem Forschungsgegenstand KI auseinanderzusetzen. Von starren Vorgaben für Forscher halte ich aber nichts.
WIRTSCHAFT ONLINE: Wissenschaft wie auch die Wirtschaft sind weltweit agierende Strukturen. Wenn eine Koryphäe, auf welchem wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Gebiet auch immer, in Sachsen keine guten – vielleicht gar überbürokratisierte – Voraussetzungen findet, wandert sie ab. Wie soll der Wissenschaftsstandort – und somit auch der Wirtschaftsstandort – gestärkt werden? Was können Sie als Wissenschaftsminister ganz konkret tun?
Herr Gemkow: Die Erfahrung und auch viele Gespräche mit eben solchen Experten an den Wissenschaftseinrichtungen in Sachsen sagen mir, dass gerade Wissenschaftler vor allem darauf schauen, wer die besten Bedingungen bietet, um sich in seinem Fachgebiet als Forscher entfalten zu können. Natürlich stehen wir hier in einem Wettbewerb. Hervorragende Infrastruktur, viele Forschungsgebiete, in denen Sachsen zur Weltspitze gehört, verlässliche Wissenschaftspolitik, sichere Finanzierung und ein offener, friedlicher Freistaat… all das macht Sachsen attraktiv. Zu meinen Aufgaben gehört es unter anderem immer wieder dafür zu werben, dass wir dieses Ökosystem weiterentwickeln und damit auch in Zukunft attraktiv bleiben.
WIRTSCHAFT ONLINE: Demokratische Willensbildung und Kompromisssuche ist ein langwieriges Unterfangen, gerade in autoritär geführten Staaten werden Entscheidungen systembedingt konsequenter und schneller gefällt, was in wissenschaftlichen Prozessen zu Vorteilen führt. Welche Vorteile bietet unsere demokratische Kompromisssuche wissenschaftlich und wirtschaftlich weltweit agierenden Playern? Wo sehen Sie sich selbst in diesem Prozess?
Herr Gemkow: Ich sehe ehrlich gesagt die Vorteile nicht, die die Wissenschaft davon haben soll, wenn die Politik schneller oder sogar auch unreflektiert entscheidet. Die Wissenschaft ist auch kein Werkzeug von Politik, jedenfalls nicht nach meinem Verständnis. Forschung und Lehre sind frei. Das haben die Väter des Grundgesetzes bewusst so angelegt, um eben jeglichen politischen oder auch ideologischen Einfluss auf potenzielle Forschungsergebnisse zu minimieren. Kreative Lösungen und Innovationen entstehen nur in einer freiheitlich geprägten gesellschaftlichen Atmosphäre. Es gibt deshalb keine Auftragsforschung in dem Sinne, dass die Politik ein bestimmtes wissenschaftliches Ergebnis erwartet, um dann mit den Erkenntnissen die eigene Politik zu bestätigen oder auch die der anderen zu widerlegen. Der Staat setzt die Rahmenbedingungen und gibt der Wissenschaft die Ressourcen, um Forschung unabhängig zu betreiben. Als Wissenschaftsminister sehe ich meine Aufgabe deshalb in erster Linie darin, unseren Wissenschaftseinrichtungen den Rücken freizuhalten und für möglichst gute Bedingungen zu sorgen… von der Laborausstattung bis hin zur Förderung von Forschungsprojekten. Auch wenn der Freistaat hier gut aufgestellt ist, was man an der breiten und vielfältigen Forschungslandschaft auf Spitzenniveau sieht, braucht es aber noch weitere Partner, um gute Forschung zu ermöglichen. Auch Gelder aus der Privatwirtschaft für Forschung und Entwicklung sind essenziell. Am Ende haben alle etwas davon. Die Unternehmen können sich insgesamt weiterentwickeln und wachsen und die Gesellschaft profitiert von neuen Produkten und Anwendungen und letztlich auch von Wertschöpfung z. B. in Form von Arbeitsplätzen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Ich stelle mir Ihren Terminplan sehr stressig vor. Wie entspannen Sie vom Entscheiden?
Herr Gemkow: Entscheiden an sich kann ja auch etwas Entspannendes haben. Wenn eine Entscheidung getroffen ist, hat man damit im Optimalfall ein Problem gelöst. (lacht!) Ansonsten versuche ich, so gut es geht, auch dem Privatmann Sebastian Gemkow etwas Zeit zum Durchatmen zu gönnen. Das kann ein Wochenende mit den Kindern sein oder auch mal ein Treffen mit Freunden.
WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Herr Staatsminister Gemkow, für Ihre Zeit und Ihr Engagement.
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