Jasmin Arbabian-Vogel © VdU
Ein Gespräch mit Jasmin Arbabian-Vogel

Unternehmensnachfolgerinnen. Wie wird der Einstieg in die Führung für Frauen attraktiver?

01. Juli 2024

Frauen in Führungspositionen stehen oft vor vielfältigen und komplexen Herausforderungen, wenn es beispielsweise um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Eine neue Studie des Verbandes deutscher Unternehmerinnen, in Zusammenarbeit mit der Friedrich Naumann Stiftung, untersucht Hürden und Möglichkeiten für Nachfolgerinnen in Familienunternehmen. Wir führten ein E-Mail-Interview mit Verbandspräsidentin Jasmin Arbabian-Vogel über konkrete Lösungsansätze und die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Wandels. Denn für das Gelingen eines Umdenkens müssen alle mit anpacken!

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Frau Arbabian-Vogel. Sie sind Präsidentin des Verbandes deutscher Unternehmerinnen, der sich seit 70 Jahren branchenübergreifend für die Interessen von Unternehmerinnen einsetzt. Was sind Ihre Ziele und Grundsätze?

Jasmin Arbabian-Vogel: Der Verband deutscher Unternehmerinnen e.V. (vdU) vertritt seit 1954 als Wirtschaftsverband branchenübergreifend die Interessen von Unternehmerinnen in Politik und Gesellschaft. Wir setzen uns für mehr Unternehmerinnen und Gründerinnen, mehr Frauen in Führungspositionen und die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in der Wirtschaft ein. Wir möchten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle verbessern und verlässliche und zeitgemäße gesetzliche Rahmenbedingungen für kleine und mittelständische Unternehmen sowie Selbstständige erreichen. In besonderem Maße zeichnet uns die Verbindung von unternehmerischer Interessenvertretung und gleichstellungspolitischer Lobby aus.

WIRTSCHAFT ONLINE: Gemeinsam mit der Friedrich Naumann Stiftung Für die Freiheit haben Sie eine Untersuchung zu den Chancen und Herausforderungen von Nachfolgerinnen in Familienunternehmen beauftragt. Was gab Ihnen den Anstoß dazu?

Jasmin Arbabian-Vogel: Familienunternehmen sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und ihr langfristiger Erfolg hängt stark von einer effektiven Nachfolgeplanung ab. Schon heute spielen Nachfolgerinnen eine immer wichtigere Rolle bei der Sicherung des Fortbestands von Familienunternehmen als Stabilitätsanker der Wohlstandssicherung Deutschlands. Und doch liegen Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland noch weit auseinander: Denn auch heutzutage ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass ein Sohn als eine Tochter das Familienunternehmen übernimmt. Laut einer aktuellen Studie der AllBright-Stiftung stieg der Frauenanteil innerhalb der Geschäftsführung bei Familienunternehmen zuletzt um 4 Prozent und liegt nun bei 12,6 Prozent. Das Potential von Frauen als Nachfolgerinnen in Verantwortung von Familienunternehmen ist also bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Angetrieben durch diesen zu geringen Frauenanteil in der Unternehmensführung von Familienunternehmen einerseits und dem Wissen um die Potentiale, die mit Diversität verbunden sind, thematisiert die gemeinsame Studie die Chancen und Hürden speziell von Nachfolgerinnen in Familienunternehmen. Denn mit den Erkenntnissen um die aktuellen Hürden lassen sich konkrete Lösungsansätze für bessere strukturelle Rahmenbedingungen formulieren, womit gelingen kann, das Potential von Nachfolgerinnen weiter zu aktivieren.

WIRTSCHAFT ONLINE: Im Rahmen der Studie wurden Interviews mit Unternehmensnachfolgerinnen geführt. Welche Themen stellten sich dabei als zentral heraus? Und welche Lösungsansätze konnten herausgearbeitet werden?

Jasmin Arbabian-Vogel: Die Themen Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Familie und Unternehmen sowie die Infrastruktur im ländlichen Raum haben sich als zentrale Hürden herausgestellt, die Frauen die Unternehmensnachfolge erschweren. Das muss nicht sein: Um diesen Herausforderungen zu begegnen, könnte die Politik den Ausbau flexibler Betreuungsangebote vorantreiben, die Rahmenbedingungen für eine paritätische Aufteilung von familiären Aufgaben verbessern, infrastrukturelle Herausforderungen im ländlichen Raum durch den Ausbau des Radverkehrsnetzes und die Einführung von Kindertaxis reduzieren und die Entbürokratisierung für mittelständische Familienunternehmen vorantreiben.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie lässt sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern?

Jasmin Arbabian-Vogel: Bessere Bedingungen für Vereinbarkeit sind das A und O für eine wirtschaftliche Stärkung von Frauen. Um Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit besser zu vereinen, braucht es verlässliche Angebote und Strukturen – und zwar für Mütter und Väter gleichermaßen. Mit einer betrieblichen Kinderbetreuung etwa wird der begrenzten Verfügbarkeit von Betreuungsmöglichkeiten entgegengewirkt und noch dazu weiteren Beschäftigten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert. Politik kann hier Anreize schaffen und für eine Vereinfachung von Genehmigungsverfahren bei der betrieblichen Kinderbetreuung sorgen. Neben dem flächendeckenden Ausbau von Betreuungsangeboten für Kinder zählen auch wirksame Anreize für eine faire 50:50 Teilung der bezahlten Elternzeit sowie den Ausbau flexibler und Individualisierter Arbeitszeitmodelle, wo möglich. Ein weiterer Hebel liegt im Abbau bürokratischer Hürden, die in Unternehmen zeitliche Kapazitäten binden und damit die Vereinbarkeit von Familie und Unternehmen zusätzlich erschweren. Gezielte Entbürokratisierungsmaßnahmen für mittelständische Unternehmen können hier Abhilfe schaffen und Nachfolgerinnen entlasten.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie kann der Einstieg in die Unternehmensnachfolge für Frauen attraktiver gemacht werden?

Jasmin Arbabian-Vogel: Karrierewege von Nachfolgerinnen sind vielfältig und selten geradlinig. Neben zeitgemäßen strukturellen Rahmenbedingungen braucht es vor allem noch mehr Sichtbarkeit für weibliches Unternehmertum und Vorbilder, die zeigen, dass es möglich ist. Wir brauchen mehr sichtbare Role Models und eben jene Unternehmerinnen und Nachfolgerinnen in Entscheidungsgremien, auf Podien, in den Medien und in Schulbüchern. Vorbilder bieten Orientierung und geben Kraft, an die eigenen Fähigkeiten zu glauben. Denn wir können nur werden, was wir erleben und uns vorstellen können!

WIRTSCHAFT ONLINE: Wer muss alles mithelfen? Und wie?

Jasmin Arbabian-Vogel: Für das Gelingen der großen Transformationsprozesse der deutschen Wirtschaft benötigen wir alle Kompetenzen. Auch deshalb ist es so zentral, das Potential von und für Frauen in der Wirtschaft darzulegen und nutzbar zu machen. Denn Frauen können einen entscheidenden Beitrag zur Entschärfung des Nachfolgeproblems leisten – ohne ihr Potential wird es in den nächsten Jahren schwierig. Damit sich allerdings mehr Frauen für eine Nachfolge entscheiden, müssen sie besser unterstützt werden. Neben der Schaffung zeitgemäßer Rahmenbedingungen und dem weiteren Abbau bürokratischer Hürden bedarf es vor allem einem gesamtgesellschaftlichen (Kultur-) Wandel. Hier sind alle gefragt.

WIRTSCHAFT ONLINE: Sie selbst sind geschäftsführende Gesellschafterin der 1996 von Ihnen gegründeten Interkultureller Sozialdienst GmbH, einem Pflege- und Sozialdienst in Hannover. Hier beschäftigen Sie sich fokussiert mit der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Gerade bei diesen ist das Thema „Frauen in Führungsstrukturen und als Nachfolgerinnen in Familienunternehmen“ vermeintlich ein weit anspruchsvolleres. Wie unterscheidet sich denn hier die Situation bei hier geborenen Frauen mit deutschem Hintergrund von Frauen, die hier geboren wurden und Zuwanderungsgeschichte haben sowie von Frauen, die gerade in dieses Land migrieren?

Jasmin Arbabian-Vogel: Das wirtschaftliche Potential von Frauen mit Zuwanderungsgeschichte wird leider noch viel zu wenig erkannt. Dabei leisten gerade Migrant*innen einen wertvollen Beitrag, sei es durch eigene Gründungen oder durch innovative Ideen. Die Schwierigkeiten von Frauen, Kapitalgebende von ihren Ideen zu überzeugen, potenziert sich leider, wenn weitere Faktoren wie eine Migrationsbiografie hinzukommen. Hier wirken Stereotype, die wir überwinden müssen. Was für Teams in Unternehmen gilt, gilt genauso für Unternehmer*innen: Diversität schafft Innovation und Wachstum und macht uns als Land nicht nur wirtschaftlich attraktiv, sondern auch lebenswert.

Verband deutscher Unternehmerinnen

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