Dr. Wolf-Dietmar Speich vom Statistischen Landesamt des Freistaates Sachsen
Gespräch mit Dr. Speich

Statistische Daten und monatliche Verdiensterhebung

19. Februar 2024

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen stellen Berichtspflichten Aufwände dar, die Personal binden, welches dann eben nicht dem Betriebszweck zur Verfügung steht. Dr. Speich, Abteilungsleiter im Statistischen Landesamt des Freistaates Sachsen, beantwortet WIRTSCHAFT ONLINE Fragen zu Datenerhebungen, Nutzen für Unternehmen und Hintergründen der Statistiken. Hierbei geht er auch auf die Vorgaben des Gesetzgebers ein und erläutert Ausnahmeregelungen und Folgen bei Unterlassung der Meldung.

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Herr Dr. Speich. Sie sind Abteilungsleiter im Statistischen Landesamt des Freistaates Sachsen, welches vielen Unternehmen durch die statistischen Berichtspflichten bekannt ist. Deshalb folgende zweigeteilte Frage zuerst: Was sind statistische Berichtspflichten überhaupt und warum gibt es sie?

Dr. Speich: Die Aufgabe des Statistischen Landesamtes ist es, über 250 EU-, Bundes- und Landesstatistiken zu erarbeiten und zu veröffentlichen. In dem von mir verantworteten Bereich der Wirtschaftsstatistiken sind es rund 140 Statistiken. Diese liefern Daten zu

  • Branchen wie Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Handwerk oder Handel und Dienstleistungen
  • übergreifenden Themen wie Arbeit, Verdienste, Preise oder Energie, aber auch zu Verkehr, Umwelt und Steuern
  • zur Konjunktur und zu den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen bzw. weiteren regionalen Gesamtrechnungen.

Die Ergebnisse dieser Statistiken und Gesamtrechnungen bilden wichtige Grundlagen für Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Sie haben zudem hohe Bedeutung für Kammern und Verbände, für Tarifparteien und nicht zuletzt für die Unternehmen selbst.

Um aussagekräftige und qualitativ hochwertige Statistiken zu erstellen, ist die Bereitstellung von Daten zu all diesen Themen Voraussetzung. Mit dem Bundesstatistikgesetz und diversen fachstatistischen Einzelgesetzen hat der Gesetzgeber die Basis für Berichtspflichten zu amtlichen Statistiken geschaffen. Letztlich fußen diese zum Großteil auf EU-Vorgaben.

WIRTSCHAFT ONLINE: Für Unternehmen, gerade KMU, stellt jede Berichtspflicht natürlich einen Mehraufwand, eine Belastung dar. Wie schätzen Sie dies aus Ihrer Sicht ein?

Dr. Speich: Sicher erscheint jeder Aufwand für ein Unternehmen, welcher nicht dem originären Zweck der wirtschaftlichen Tätigkeit dient, aus Sicht des Unternehmens zunächst „belastend“. Aber zur Steuerung in der Gesamtwirtschaft sind Kennziffern und statistische Werte immens wichtig, um Entwicklungen nachzuverfolgen und zukünftige Tendenzen einschätzen zu können. Diese Daten nutzen auch die Unternehmen, um zum Beispiel ihre Position am Markt einzuschätzen.

Der für das einzelne Unternehmen entstehende Aufwand für Datenlieferungen soll natürlich möglichst gering sein. Das ist auch unser Ziel. Dafür entwickeln wir Online-Meldeverfahren und versuchen, Daten in der Form zu sammeln, wie diese bereits in den Unternehmen oder Betrieben vorliegen. Ein Beispiel dafür sind Daten aus dem betrieblichen Rechnungswesen, die in der Verdiensterhebung genutzt werden. Hier ist es gelungen, den Aufwand in den Betrieben sehr gering zu halten. Für die wiederkehrenden Meldungen kann das etablierte und bequeme Online-Meldeverfahren eSTATISTIK.core verwendet werden. Mit diesem Verfahren können die Daten monatlich automatisiert -sozusagen per Knopfdruck- in elektronischer Form aus der Lohnabrechnungssoftware gewonnen und direkt an die amtliche Statistik übermittelt werden. Dazu bieten zahlreiche Hersteller von Lohnbuchhaltungssoftware eigens Statistikmodule an.

Für andere Wirtschaftsstatistiken werden z.T. gar keine Unternehmen befragt, sondern Daten genutzt, die bereits in der Verwaltung vorliegen. Ein Beispiel dafür sind Steuerstatistiken, die ausschließlich Daten aus der Finanzverwaltung verarbeiten. Zudem gibt es so genannte Mixmodelle, d.h. Statistiken, bei denen bei wenigen Unternehmen Befragungen laufen und für die anderen auf Verwaltungsdaten zurückgegriffen wird. Selbstverständlich nutzt die amtliche Statistik noch weitere Instrumente, um mit möglichst wenig Aufwand für die Befragten aussagekräftige Ergebnisse zu produzieren. Die meisten Wirtschaftsstatistiken werden als Stichprobenerhebungen oder Teilerhebungen mit Abschneidegrenzen erhoben. So werden insbesondere KMUs im Vergleich zu Großunternehmen weniger stark belastet. In der Phase der Existenzgründung bestehen Möglichkeiten der Befreiung von statistischen Berichtspflichten. In der angesprochenen Verdiensterhebung werden beispielsweise nur 3,6 Prozent aller in Sachsen zur sogenannten Grundgesamtheit gehörenden Wirtschaftseinheiten befragt und die Ergebnisse dann hochgerechnet.

WIRTSCHAFT ONLINE: Ein konkretes Beispiel für Berichtspflichten ist die monatliche Verdiensterhebung, Sie sprachen davon. Hier gibt es aus Entlastungsgründen eine sogenannte Rotation der Stichproben. Können Sie uns dazu bitte mehr sagen?

Dr. Speich: Die Rotation der auskunftspflichtigen Betriebe in der Stichprobe der Verdiensterhebung umfasst jährlich rund 1/6 des Berichtskreises von rund 3.600 Betrieben in Sachsen. Damit wird jährlich ein Teil der Betriebe aus der Stichprobe entlassen und ein Teil der Betriebe neu in die Berichtspflicht aufgenommen, um aus der Berichtspflicht gefallene Betriebe zu kompensieren. So sollen Belastungen der Wirtschaft durch Berichtspflichten möglichst gleichmäßig verteilt werden.

In bestimmten Wirtschaftszweigen und Betriebsgrößenklassen ist die Zahl der Betriebe jedoch so gering, dass keine Rotation der berichtspflichtigen Betriebe stattfinden kann. Hierbei handelt es sich meist um sehr große Wirtschaftseinheiten mit mehr als 1.000 Beschäftigten oder stark spezialisierte Betriebe. Dann bleiben diese Betriebe in den sogenannten Totalschichten weiter auskunftspflichtig.

WIRTSCHAFT ONLINE: Welche Kriterien gelten eigentlich, um als Unternehmen in den Berichtskreis zu kommen? Wer ist dadurch per Gesetz konkret verpflichtet, teilzunehmen?

Dr. Speich: Den Berichtskreis für die Verdiensterhebung hat der Gesetzgeber durch das Verdienststatistikgesetz festgelegt. Die Erhebung wird als Stichprobenerhebung mit einer bundesweit festgelegten Stichprobenobergrenze von 58.000 Wirtschaftseinheiten durchgeführt. Dazu werden Betriebe mittels eines mathematisch-statistischen Verfahrens nach dem Zufallsprinzip auf Ebene der Bundesländer gezogen. Die Grundlage zur Auswahl der Stichprobe bilden alle Betriebe ab einer sozialversicherungspflichtig beschäftigten Person der einbezogenen Wirtschaftszweige, wie sie im Unternehmensregister der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder enthalten sind. In Sachsen werden rund 3.600 Betriebe in diese Statistik einbezogen, was einem Auswahlsatz von ca. 3,6 Prozent entspricht. Zur Verbesserung der Genauigkeit der Ergebnisse erfolgt bei der Erstellung des Auswahlplans eine Aufteilung des Stichprobenumfangs auf sogenannte Schichten. Die Betriebe werden nach Wirtschaftszweigen und Größenklassen (gemessen an der Anzahl der Beschäftigten) einzelnen Schichten zugeordnet. Mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Betrieb in die Stichprobe gelangt, hängt also von seiner Größe und der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit ab.

WIRTSCHAFT ONLINE: Was geschieht mit den Daten?

Dr. Speich: Die erhobenen Daten werden in einem statistischen Fachverfahren plausibilisiert:

Obwohl die Erhebungsmerkmale dem betrieblichen Rechnungswesen entnommen werden, kann es teilweise zu fehlerhaften Angaben kommen. So „passt“ insbesondere die Höhe der bezahlten Stunden nicht immer zur Höhe des gelieferten Bruttomonatsverdienstes. Oft geben auch nicht ausreichend gepflegte Personalstammdaten, wie zum Beispiel der Tätigkeitsschlüssel, Grund zu Rückfragen. Liegen Werte außerhalb bestimmter Grenzen, beispielsweise beim Bruttomonatsverdienst, sind gelegentlich ebenfalls Rückfragen notwendig. Die gelieferten Daten können dann bestätigt oder korrigiert werden. Auch Fehler in den Softwaremodulen im Zuge des eSTATISTIK.core-Verfahrens, welche die Daten für die amtliche Statistik aus der Lohnbuchhaltung auslesen, kommen vor und müssen an die Softwarefirmen kommuniziert und von diesen behoben werden.

Fehlende oder falsche Daten werden vollautomatisch imputiert:

Aufgrund der Höhe des Datenvolumens (monatliche Meldungen von 7 Millionen Arbeitnehmerdatensätzen aus 58.000 Betrieben bundesweit, wobei auf Sachsen rund 400.000 Arbeitnehmerdatensätze aus 3.600 Betrieben entfallen) wird ein Verfahren des Maschinellen Lernens (im weitesten Sinne eine KI) zur Daten-Plausibilisierung eingesetzt.

Die vollständig plausibilisierten Daten werden auf die Grundgesamtheit hochgerechnet und anschließend ausgewertet und unter strikter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben zur statistischen Geheimhaltung veröffentlicht:

In unserem Internetangebot veröffentlichen wir vierteljährlich Nominallohnindizes, welche die Entwicklung der Verdienste aufzeigen. Unter Nutzung des Verbraucherpreisindex, welcher auch im Statistischen Landesamt ermittelt wird, können wir vierteljährlich Reallohnindizes veröffentlichen. Diese geben Auskunft über die preisbereinigte Verdienstentwicklung, also eine Art Kaufkraftentwicklung bezüglich der Beschäftigten.

Zu Angaben über Verdienstniveaus und -struktur erscheint jährlich ein Statistischer Bericht. Er gibt Auskunft über Durchschnittverdienste nach Wirtschaftsbereichen, Unternehmensgrößen, Alter, Geschlecht, Ausbildungsabschluss, beruflicher Tätigkeit und Anforderungsniveau. Wir begleiten unsere Veröffentlichungen mit Medieninformationen und stellen Daten für alle Nutzer und Interessierte über die Statistische Datenbank Genesis zur Verfügung. Wir veröffentlichen zudem Eckzahlen zum Niedriglohnbereich und zum Gender Pay Gap, d.h. dem Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen.

Bundesweit sind die Daten der Verdiensterhebung ein wichtiger Input für die Mindestlohnkommission sowie für Analysen des Gender Pay Gap. Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände nutzen die Ergebnisse für eigene Untersuchungen und als Grundlage für Tarifverhandlungen. Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften greifen auf das anonymisierte Datenmaterial für Forschungszwecke zu. Alle Interessierten können mit einem Gehaltsrechner auf der Internetseite des Statistischen Bundesamtes auf Basis ihrer individuellen Angaben ein durchschnittliches Gehalt schätzen lassen. Dieser Gehaltsrechner basiert auf Daten der Verdiensterhebung und beinhaltet selbstverständlich auch die sächsischen Daten.

WIRTSCHAFT ONLINE: Können Sie uns bitte noch etwas zum Prozedere der Erhebung sagen?

Dr. Speich: Die Verdiensterhebung wird monatlich durchgeführt. Die auskunftspflichtigen Betriebe liefern zum 10. Tag des Folgemonats die im betrieblichen Rechnungswesen vorliegenden Merkmale wie Geburtsdatum, Beschäftigungsbeginn, Personengruppe, Tätigkeitsschlüssel, bezahlte Stunden sowie Verdienstangaben. Alle Einzelangeben unterliegen im Amt der statistischen Geheimhaltung. Am belastungsärmsten ist die Nutzung des bereits erwähnten Online-Meldeverfahrens eSTATISTIK.core. Sozusagen per Knopfdruck erzeugt ein Softwaremodul die entsprechende Schnittstellendatei und übergibt sie an die Dateneingangsserver im Statistischen Verbund.

Über Erinnerungen und Mahnungen (auf Wunsch auch per E-Mail) oder regelmäßige Terminverlängerungen versuchen wir, den Betrieben im Rahmen unserer Möglichkeiten die Berichtspflicht zu erleichtern. Selbstverständlich stehen wir auch für technische Fragen zur automatisierten Datenlieferung beratend zur Verfügung. Sollte dennoch bis spätestens zum 25. Tag des Folgemonats keine Meldung vorliegen, versenden wir einen Heranziehungsbescheid. Letztlich besteht gemäß Verdienststatistikgesetz eine Auskunftspflicht.

WIRTSCHAFT ONLINE: Was geschieht mit den Unternehmen, die, allgemein gesagt, nicht liefern?

Dr. Speich: Wenn ein Unternehmen bzw. Betrieb keine Meldung abgibt, wird geprüft, welche Ursachen hierfür vorliegen. Dazu können Insolvenz des Unternehmens, Betriebsschließungen und Geschäftsaufgaben, das vorübergehende Ruhen eines Saisonbetriebes, die Auflösung des letzten SV-pflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, der Umzug eines Betriebes in ein anderes Bundesland, ggf. auch vorübergehend unüberwindbare technische Probleme zählen oder aber eine Auskunftsverweigerung. In diesem Fall wird unser Rechtsbereich tätig und leitet das im Heranziehungsbescheid angekündigte Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Mit Versand eines Anhörungsbogens wird geklärt, ob ein akzeptabler Widerspruchsgrund (z.B. Existenzgründer im Jahr der Betriebseröffnung) vorliegt. Ist das nicht der Fall, muss der auskunftsverweigernde Betrieb ein Bußgeld (bis zu 5.000 Euro) zahlen und trotzdem die Daten nachliefern. Im Sinne einer hohen Qualität unserer Statistiken können wir darauf leider nicht verzichten. Unausweichliche Antwortausfälle werden bei der Hochrechnung mittels eines Anpassungsfaktors ausgeglichen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Herr Dr. Speich, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

Statistisches Landesamt des Freistaats Sachsen

Ihre Kontaktperson

Bei Fragen hilft Ihnen die Redaktion der WIRTSCHAFT ONLINE gerne weiter.

T: 0341 1267-1128
E: redaktion@leipzig.ihk.de

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