Wirtschaftsarchiv Sachsen Nachlass Koerting Mathiesen
30 Jahre im Dienst der sächsischen Wirtschaft

Sicherung, Bewertung und Bewahrung

30. August 2023

Gespräch mit der Geschäftsführerin des Sächsischen Wirtschaftsarchivs Veronique Töpel

Unternehmen der Region leisten schon immer hervorragende Arbeit, um den Standort zu entwickeln. Gerade die Wirtschaft mit all den aus ihr geborenen Innovationen und Stärken befruchtet die Stadt Leipzig, den Landkreis Leipzig und den Landkreis Nordsachsen, schafft Beschäftigungsverhältnisse und ermöglicht Kultur und Freizeitaktivitäten. Seit 30 Jahren wird im Sächsischen Wirtschaftsarchiv Wirtschaftsgeschichte aufgearbeitet. WIRTSCHAFT ONLINE sprach mit Veronique Töpel über das Sächsische Wirtschaftsarchiv an sich, die Aufgaben des Archivs, die Nutzerstrukturen und Dienstleistungen:

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Veronique Töpel. Das von Ihnen geleitete Sächsische Wirtschaftsarchiv feiert dieser Tage sein 30. Jubiläum. Glückwunsch! Mit welchem Auftrag wurde es 1993 von wem gegründet?

Veronique Töpel: Das Sächsische Wirtschaftsarchiv e. V. (SWA) wurde am 5. April 1993, übrigens maßgeblich auf Initiative der IHK zu Leipzig, durch die drei sächsischen Industrie- und Handelskammern als regionales Wirtschaftsarchiv für Sachsen gegründet. Damit entstand erstmals im Osten Deutschlands ein regionales Wirtschaftsarchiv, das satzungsgemäß den Auftrag „zur Sicherung, Bewertung und Bewahrung des wirtschaftlichen Archivgutes aller Regionen des Freistaates Sachsen“ erhielt.

WIRTSCHAFT ONLINE: Das Sächsische Wirtschaftsarchiv residiert in der Leipziger Industriestraße. Wie kam es dazu?

Veronique Töpel: Zunächst ist zu sagen, dass das Sächsische Wirtschaftsarchiv nicht von ungefähr seinen Sitz in Leipzig hat, denn wir knüpfen an die Tradition des von 1887 bis 1959 an der Bibliothek der Handelskammer zu Leipzig bestehenden Wirtschaftsarchivs für Leipzig an.  Bewusst entschieden sich die Gründungskammern also für den Standort Leipzig.  Und bewusst oder unbewusst hat das SWA seit 2007 nach zwei vorausgegangenen Standorten seinen Sitz mitten in Leipzig-Plagwitz, dem früheren Wirkungskreis des Leipziger Industriepioniers Dr. Carl Erdmann Heine. Unser guter Kontakt zur Konsum Leipzig eG, einem unserer ersten Mitglieder, verschaffte uns auch den jetzigen Standort in der Industriestraße.

WIRTSCHAFT ONLINE: Vom Sächsischen Wirtschaftsarchiv werden unterschiedlichste Dienstleistungen angeboten. Welche sind dies denn?

Veronique Töpel: Natürlich steht an erster Stelle das Angebot zur Hinterlegung von historischen Unterlagen als Depositum und deren Übernahme bei Geschäftsaufgabe oder Insolvenz als wichtigster Teil der Arbeit im Bereich der Archivpflege und -beratung. Als kompetenter Dienstleister bietet das SWA eine breite Palette an Service- und Dienstleistungen für die sächsischen Unternehmen an. Diese reichen von der fachlichen Beratung bei der Einrichtung eigener Unternehmensarchive, die Ordnung und Aufbereitung von Archivbeständen vor Ort bis zur Unterstützung bei der Erarbeitung von Veröffentlichungen oder Ausstellungen zu Firmenjubiläen bzw. Recherchen für historische Eintragungen auf der Internetseite. Außerdem erarbeitet das SWA auch Konzeptionen für die eigene Schriftgutregistratur, die auch wichtige Voraussetzung für die elektronische Archivierung sind. Damit verbunden sind auch Hinweise auf gesetzliche Aufbewahrungsfristen für die im Unternehmen entstehenden Unterlagen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Und wie kommen Sie an Ihre Bestände heran?

Veronique Töpel: Wichtig ist, dass es für die Unternehmen keinerlei gesetzliche Verpflichtung gibt, die eigenen historischen Unterlagen zu archivieren. Aber Sachsen verfügt über eine große Anzahl an traditionsreichen Familienunternehmen und auch über solche mit langer Gründungstradition am Standort. Das Bewusstsein für die Wahrung der eigenen Identität und Tradition ist also unbedingt vorhanden. Das betrifft inzwischen ebenso die nach 1990 gegründeten Unternehmen! Das SWA schreibt selbst Unternehmen an, vor allem auch im Falle von Inhaberwechsel, Geschäftsaufgabe und Insolvenz. Wir gratulieren ebenso zu Firmenjubiläen. Wir veröffentlichen immer wieder Pressebeiträge zu unserer Arbeit und pflegen die eigene Internetseite. Außerdem nutzen wir die Tage der Archive und die der Industriekultur, um mit Führungen auf unsere Arbeit aufmerksam zu machen. Inzwischen werben auch unsere über 120 Mitglieder sehr akribisch für unsere Dienstleistungen. Die Kammern sind dabei eine wichtige Schnittstelle bei der Betreuung ihrer Mitglieder.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wer sind die Nutzerinnen und Nutzer des Sächsischen Wirtschaftsarchivs?

Veronique Töpel: Natürlich nutzen die Hinterleger ihre eigenen Bestände. Aber ansonsten besteht unsere Benutzerklientel aus ebensolchen Benutzerinnen und Benutzern wie in anderen Archiven. Zu uns kommen Wissenschaftler, u. a. Wirtschaftshistoriker und Sozialwissenschaftler, Studenten, Schüler, Chronisten von Heimat- und Stadtteilvereinen und auch Privatpersonen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Hochinteressant ist auch Ihre publizistische Tätigkeit. Können Sie uns etwas zu den Veröffentlichungsreihen des Sächsischen Wirtschaftsarchivs erzählen, Frau Töpel?

Veronique Töpel: Das Sächsische Wirtschaftsarchiv hat sich von Beginn seiner Tätigkeit an auch wissenschaftlich ausgewiesen. Bereits 1994 entstand eine erste Festschrift, nämlich die zum 110. Gründungsjubiläum der Konsum Leipzig eG. Es folgte 1994 die Begründung der Reihe „Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte Sachsens“ mit der Veröffentlichung „Der Handel Sachsens nach Spanien und Lateinamerika“ von Dr. Jörg Ludwig. In den 90er-Jahren entwickelte sich dann auch die Reihe der „Erinnerungen“. Diese gibt neben einem Abspann zur jeweiligen Firmengeschichte auch immer einem Familienmitglied Gelegenheit, sich den eigenen Erinnerungen zu stellen. Da sind tolle Publikationen entstanden. Auch unsere Protokollbände zu den Unternehmensgeschichtlichen Kolloquien sind ebenso hervorzuheben, wie die Veröffentlichung der Biografie über unseren Industriepionier Dr. Carl Erdmann Heine und den Architekten und Betonbauer Max Pommer. In den 30 Jahren sind 23 Veröffentlichungen entstanden und an 20 Veröffentlichungen haben wir uns beteiligt. Ich denke, das ist beachtlich.

WIRTSCHAFT ONLINE: Im Mai 2023 fand ein Erfahrungsaustausch Ihres Arbeitskreises innerhalb der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchive statt. Gab es Ergebnisse – und wenn ja: welche?

Veronique Töpel: Unser Erfahrungsaustausch der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare Sachsen besteht seit 1992. Das Sächsische Wirtschaftsarchiv hat diesen Arbeitskreis faktisch bei seiner Gründung adoptiert. Inzwischen kommen auch Kolleginnen und Kollegen aus Thüringen und Sachsen-Anhalt in diesen Arbeitskreis. Wir treffen uns zweimal jährlich im Frühjahr und im Herbst zu kleinen Fachtagungen, um archivfachliche Themen zu vermitteln. Im Mai 2023 haben wir in der Fa. Auhagen in Marienberg getagt, die wir seit vielen Jahren betreuen, d. h. der historische Bestand liegt bei uns in Leipzig und vor Ort betreuen wir eine kleine Registratur sowie das Produktarchiv. Inzwischen ist das Unternehmen auf dem Weg in die Digitalisierung. Viele Produktionsprozesse sind hochmodern und auch die Registratur wird in absehbarer Zeit papierlos sein. Wir gehen diesen Weg mit und wollten dem Arbeitskreis zeigen, wie so etwas funktionieren kann. Ein für uns alle spannender Prozess.

WIRTSCHAFT ONLINE: Um die heutige Wirtschaft verstehen zu können, braucht es dringend Wissen über die Vergangenheit. Verkürzte Dispute in der Öffentlichkeit, oft dann auch noch ideologisch gefärbt, bringen keine zukunftssicheren Ergebnisse. Wird Ihre Arbeit in der Gesellschaft wahrgenommen? Was wünschen Sie sich von den Beteiligten in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft, damit ein gemeinsames Wirtschaften möglich bleibt?

Veronique Töpel: Wer uns kennt und mit uns zusammenarbeitet, der schätzt die Arbeit des Sächsischen Wirtschaftsarchivs schon sehr. Natürlich wünschen wir uns viel mehr Bekanntheit und ja, dafür brauchen wir eine Lobby in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Ich glaube, Sachsen muss nun nach 30 Jahren auch mal wieder stolz sein auf sein Image als Industrieland. Was ist daran verwerflich? Wenn man zurückschaut, dann stammen so viele Erfindungen aus Sachsen, dass man denken könnte, wir sind die „Patentschmiede“ Deutschlands. Und wir haben auch in der gegenwärtigen Zeit viele innovative Unternehmen, viel mehr als in der Gesellschaft bekannt ist. Und man sollte auch nicht vergessen, dass traditionsreiche Unternehmen nicht nur von ihren Traditionen leben, auch wenn sich Produkte dadurch oft besser verkaufen, sondern die Veränderungen in der Gesellschaft und der industriellen Entwicklung mittragen und sich denen auch anpassen. Das Sächsische Wirtschaftsarchiv wird in seiner Tätigkeit immer für die Industrie als Wertschöpfer der Gesellschaft werben. Klar, die Arbeitswelt wird sich verändern. Wir werden das dokumentieren und für spätere Generationen bewahren. Uns dabei zu unterstützen, sollte hohe Priorität haben, sowohl in Politik als auch in der Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Frau Töpel, für Ihre Zeit und Ihr Engagement.

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