„Ohne Vielfalt verliert der lokale Handel an Attraktivität.“
18. Oktober 2024Wie handelt es sich in der Leipziger Innenstadt? Welche kreativen Ideen gibt es? Melanie Große hat Mitte September 2024 mit ihren Freundinnen und Freunden einen Pop Up Store eröffnet. Wie es dazu kam und welche Gedanken sie beim Thema Handel umtreiben, erfragten wir bei ihr.
Dabei kam Melanie Große auf Risiken für die Attraktivität des lokalen Handels zu sprechen und auf die Unterschiede zwischen dem Konsumverhalten in der Stadt Leipzig und in Mittelzentren der Region.
WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Melanie Große. Seit dem 16. September 2024 betreiben Sie mit Ihren Freundinnen und Freunden einen Pop Up Store im Leipziger Petersbogen in der Innenstadt. Der Pop Up Store nennt sich „Handmade Designs“. Das impliziert, dass in dem Store Handgemachtes gehandelt wird. Wie kam es zum Laden?
Melanie Große: Richtig, ich betreibe ein kleines Möbellabel „Möbel sucht Farbe Design“ im Leipziger Süden und verkaufe dort alte Möbel, denen ich vorher wieder neuen Glanz einhauche, nehme Aufträge entgegen und verbreite mein Wissen in Form von Gestaltungs- und Upcycling-Workshops. Der Wunsch, zusammen mit anderen kreativen Leipzigern einen gemeinsamen Laden zu betreiben, besteht schon lange. Ich wollte mir und anderen Leipzigern die Möglichkeit geben, hochwertige handgefertigte Produkte in größerem Rahmen zu verkaufen und die Gemeinschaft nutzen, unser aller Sichtbarkeit zu erhöhen. Dann las ich im Juli vom Ideenwettbewerb des Amtes für Wirtschaftsförderung der Stadt Leipzig, welches Bundesgelder für die Belebung der Innenstädte in Form eines Pop Up Stores für ein halbes Jahr im Petersbogen vergibt. Mit dem Projekt „Handmade Designs“ bestand die reale Chance, Kreativität und Gemeinschaft in die Innenstadt zu bringen. Ich habe mich mit meinem Indoor-Kreativmarkt-Konzept inklusive Workshops für Kunden beworben und gewonnen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Der Store resultiert, wie Sie sagten, aus einem Projekt für die Innenstadtbelebung. Nun ist die Leipziger Innenstadt doch recht belebt, im Vergleich zu Innenstädten in Mittelzentren wie Eilenburg, Weißenfels oder Grimma. Ist Ihr Konzept übertragbar? Was müssen für Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Pop Up Stores wie der Ihre in Mittelzentren funktionieren?
Melanie Große: Die LVZ titelte vor ein paar Tagen auf ihren Social-Media-Kanälen, ob die Innenstadt in Hinblick auf neue Geschäftsöffnungen boomt. Schaut man in die Kommentarspalten, betrachten viele Leser die Antwort darauf, für sich auch mal weniger positiv. Von Augenwischerei war die Rede, von weiteren Schließungen oder dem Wunsch, doch mal kleinere Läden zu pushen, anstatt immer nur Geschäftsketten den Vorrang zu geben. Klar, alles subjektive Empfindungen, aber deutlich wird sehr wohl, dass auch die Leipziger Innenstadt durchaus ihre Probleme zu haben scheint.
Die Übertragbarkeit ist deshalb nicht das zentrale Problem. Das Konzept ist meiner Meinung nach durchaus auf Mittelzentren adaptierbar. Wenn Pop Up Stores in Mittelzentren funktionieren sollen, muss sichergestellt sein, dass die Kaufkraft der Bevölkerung ausreicht, um ein solches Geschäftsmodell zu ermöglichen. Mittelzentren haben oft eine unterschiedliche wirtschaftliche Struktur im Vergleich zu großen Städten, und der Erfolg eines Pop Up Stores hängt stark davon ab, ob die Menschen vor Ort bereit und in der Lage sind, in Handmade, und damit gleichzeitig hochpreisigere Produkte, zu investieren.
Chancengleichheit ist ebenfalls ein entscheidender Aspekt. Es muss Rahmenbedingungen geben, die es kreativen Unternehmen ermöglichen, sich zu etablieren und ihre Produkte zu präsentieren, ohne übermäßig hohe Hürden überwinden zu müssen. Dies führt zur Frage der Gentrifizierung: Wenn Mietpreise, wo auch immer, steigen, können sich in Innenstädten nur noch größere Ketten oder teure Geschäfte halten. Dies macht es für kleinere kreative Unternehmen sehr schwierig, bezahlbare Flächen zu finden und ihren Laden zu betreiben oder zu halten.
WIRTSCHAFT ONLINE: Die Kreativszene braucht Räume, in denen Produkte, Ideen und Trends gezeigt und diskutiert werden können. Da sind Pop Up Stores gute Gelegenheiten. Funktioniert es aber auch betriebswirtschaftlich? Können Sie dazu schon etwas sagen? Wie sieht Ihr Finanzierungsplan für den Store aus?
Melanie Große: Nun gut, wir haben den großen Vorteil, dass Miete und Nebenkosten aus dem Bundesprogramm: „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ finanziert werden. Wir können innerhalb eines halben Jahres also in Ruhe erproben, ob es sich lohnen würde, auch auf eigene Kosten, einen derartigen Laden weiterzuführen. Die Künstler stehen zudem selbst im Laden, um ihre Waren zu verkaufen. Dadurch fallen keine direkten Personalkosten an. Mein Augenmerk liegt in der Erprobungsphase demnach in erster Linie auf folgenden Punkten: Wie viele Akteure/Produkte brauche ich, damit der Laden gut aufgestellt ist und Besucher zieht, um sich selbst zu tragen? Welche Produkte kommen besonders gut beim Kunden an? Sind unsere Waren von der Saison abhängig oder trägt sich das Konzept auch in den Monaten kurz nach Weihnachten? Sind Kunden bereit, für höherpreisige, handgemachte Produkte tiefer in die Tasche zu greifen? Wie nehmen die Kunden die DIY-Workshops an? All diese Aspekte werde ich in den nächsten Monaten beobachten und beantworten können, um dann zu sehen, inwieweit wir einen gemeinsamen Laden auch ohne Förderung weiterbetreiben können.
WIRTSCHAFT ONLINE: Wie kommen Sie an Mitstreiterinnen und Mitstreiter heran? Solch ein Store braucht ja eine Vielfalt an Angeboten?
Melanie Große: Leipzig hat eine breit aufgestellte Kreativszene und richtig tolle Ideen und Produkte. Viele Leipziger Träger laden die Szene regelmäßig zu saisonalen Märkten und Ausstellungen ein. Es gibt Stadtteilmagazine, welche einschlägig berichten und Social Media verbindet ebenso. Mit der Zeit kennt man sich untereinander und mit Ladeneröffnung sind auch viele Mitmachwillige auf mich zugekommen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Wo handeln Sie Ihre Produkte sonst so?
Melanie Große: Ich werbe und verkaufe meine Produkte auf verschiedenen saisonalen Märkten und Online-Portalen. Kunden kommen zu mir in die Werkstatt und lassen sich beraten, geben Omas Küchenbuffet zur Verschönerung in meine Obhut oder erproben sich in handwerklicher Geschicklichkeit, indem sie einen Workshop bei mir besuchen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Pop Up Stores sind eine Möglichkeit, Innenstädte interessanter zu gestalten. Haben Sie selbst noch Ideen, welche betriebswirtschaftlich praktikabel sind?
Melanie Große: Ob etwas betriebswirtschaftlich praktikabel ist, entscheiden leider momentan andere, oft ohne das kreative Potenzial voll zu nutzen. Ich möchte sagen, dass die Innenstadt in ihrer jetzigen Form sehr homogen und veraltet wirkt. Ich erkenne auch, dass Akteure sich stetig bemühen, Menschen mit verschiedenen Angeboten zu begeistern und Ihnen ein angenehmes Einkaufserlebnis zu schaffen. Meiner Meinung nach braucht es dennoch eine Öffnung hin zu jungen Akteuren aus der Kreativszene. Es wäre wichtig, diese Menschen einzubeziehen, ihnen die Chance zu geben, auf Augenhöhe neue Ideen einzubringen, und das ohne den finanziellen Druck, den sich viele nicht leisten können.
Es geht darum, gemeinsam neue Lösungen zur Belebung der Innenstadt zu finden, die nicht nur kommerziell, sondern auch kulturell relevant sind. Viele Leipziger bleiben oft in ihren Vierteln, weil sie dort die Rahmenbedingungen finden, die in der Innenstadt fehlen. Wenn man sich die Karl-Liebknecht-Straße (KarLi) oder andere bekannte Straßen und Viertel in Leipzig anschaut, sieht man, was passiert, wenn eine vielfältige Mischung von kleinen Läden, Kneipen, Musiklokalen, Restaurants und kulturellen Veranstaltungen entsteht. Das zieht Menschen an, sowohl Einheimische als auch Touristen, und schafft ein Lebensgefühl, das jenseits des Mainstreams liegt.
Diese Vielfalt, die in der Innenstadt fehlt, ist auch in den Stadtvierteln zunehmend gefährdet. Was wir dort oft erleben, ist eine schleichende Homogenisierung. Das ist zwar ein anderes Thema, zeigt jedoch, dass das, was der Innenstadt an Diversität und Kreativität fehlt, auch in den individuellen Stadtvierteln langsam verschwindet. Das hätte nicht nur Auswirkungen auf die Lebensqualität, sondern auch auf das Kaufverhalten der Menschen, denn ohne Vielfalt verliert der lokale Handel an Attraktivität. Wenn wir also die bunte Mischung, die gerade die Stadtviertel ausmacht, nicht bewahren, stehen wir letztlich vor dem Risiko, dass genau diese Qualitäten überall verloren gehen.
Ich denke, es braucht eine starke Identität für die Innenstadt, die die Vielfalt der Leipzigerinnen und Leipziger widerspiegelt. Eine lebendige Mischung aus kulturellen Angeboten, kleinen Läden und kreativen Impulsen, die einen echten Mehrwert bieten und neugierig machen.
WIRTSCHAFT ONLINE: Danke für Ihre Zeit und Ihr Engagement, Frau Große. Und ganz viel Erfolg.
Bei Fragen hilft Ihnen die Redaktion der WIRTSCHAFT ONLINE gerne weiter.