Joerg Schulze ihk zu Leipzig
Die Logik der Ökologie

Ökopunkte sind ein Wirtschaftsgut

26. April 2023

Gespräch mit Jörg Schulze, Umweltberatung der IHK zu Leipzig

Umweltmanagement ist ein heißes Eisen für Unternehmen, kaum ein Wirtschaftstreibender kommt an diesem vorbei. Gerade auch der Prozess der Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit ist hierbei nicht nur hochinteressant, sondern auch gewinnbringend.Jörg Schulze, in der Umweltberatung der IHK zu Leipzig tätig, antwortete auf die Fragen von WIRTSCHAFT ONLINE zu den Möglichkeiten, die Entwicklung auch finanziell zu nutzen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Eine der vielen weltweiten Krisen ist das Verschwinden der Arten. Der Evolutionsbiologe Edward O. Wilson brachte es mit dem Satz „Wir werden einsam sein.“ (Interview vom 27.11.1995 in: Der Spiegel) auf dem Punkt. Die Zerstörung der Biodiversität weltweit, aber auch in unserer Region, hat weitreichende wirtschaftliche Folgen. Welche wären dies?

Jörg Schulze: Die Vereinten Nationen schätzen, dass der Verlust an biologischer Vielfalt bis zum Jahr 2050 zu einem globalen Wohlfahrtsverlust von mindestens 14 Billionen US-Dollar führen wird. Dies entspricht 7 Prozent des BIP. Es sind also nicht unerhebliche wirtschaftliche Schäden zu erwarten.

Leider ordnet der Mensch nur „Dingen“ einen Wert zu, die er quantifizieren und qualifizieren kann. Vielfach gibt es jedoch eine unzureichende Wissensbasis über den „Wert“ einzelne Arten und Zusammenhänge der Artengemeinschaften unserer belebten Umwelt. Deshalb sind die vorhandenen Zahlen als konservativer Schätzwert zu betrachten, der zwar wissenschaftlich fundiert ist, aber primär dem Zweck dient, die Prägnanz von Umweltleistungen in unserem Wirtschaftssystem darzustellen. Wie soll beispielsweise der Verlust einer Art monetär bewertet werden, die wir noch nicht erforschen konnten und bei der wir dementsprechend kein Wissen über ihr nutzbares Potenzial für uns haben?

WIRTSCHAFT ONLINE: Da werfen Sie eine berechtigte Frage auf, Herr Schulze, die andernorts zu beantworten sein wird. Gegen den drohenden Verlust kann aber schon im Kleinen etwas gemacht werden, was dann im Unternehmerischen sogar Mehrwerte schafft. Darauf sollten wir unseren Blick werfen. Beginnen wir mit der naturnahen Gestaltung von Firmengeländen: Hier gibt es die Themenbereiche Ausgleichsflächen und Ökopunkte. Können Sie uns dazu etwas erzählen?

Jörg Schulze: Durch die Umsetzung von Maßnahmen zur naturnahen Gestaltung von Firmengeländen können, in Absprache mit den Behörden, Ökopunkte gewonnen werden. Diese können wiederum als Ausgleich angerechnet werden, wenn Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt ihre Betriebsgebäude erweitern möchten und für diese Baumaßnahme ausgleichspflichtig wären. Sofern die durch die naturnahe Aufwertung erzielten Ökopunkte nicht für den Ausgleich eigener baulicher Maßnahmen benötigt werden, können diese in einem Ökokonto angelegt und verkauft werden. Ökopunkte sind damit ein Wirtschaftsgut.

WIRTSCHAFT ONLINE: Durch eine naturnahe Firmengeländegestaltung kann auch die Attraktivität für Fachkräfte, hier zu arbeiten, gesteigert werden. Wer will schon im Sommer auf einem betonierten Areal Mittagspause machen? Wie wird die Attraktivität noch gesteigert?

Jörg Schulze: Denkbar ist unter anderem die Anlage eines Teiches, der gleichzeitig auch als biologische Reinigungsstufe von schwach belasteten Grauwasser ist. Aber bitte keine Angst, es riecht nicht wie im Klärwerk.

Die extensive Nutzung der Freiflächen für den Frucht- sowie Obstanbau kann eine ebenso sinnvolle Ergänzung sein und den Speiseplan der Mitarbeiter aufwerten. Ebenso ist dies beispielsweise auch mit der Beweidung kombinierbar. Wenn man hierfür gefährdete Haustierrassen verwendet, ist dies ein doppelter Gewinn für den Artenschutz. Natürlich können die Flächen auch Imkern zur Verfügung gestellt werden. Honig ist ein schönes individuelles Geschenk für Geschäftskunden, so ganz nebenbei.

WIRTSCHAFT ONLINE: Die Kostenersparnis bei Energie- und Abwasserkosten kommt ebenfalls hinzu. Wie konkret?

Jörg Schulze: Hier möchte ich zuvorderst dieSenkung der Kühl- und Heizkosten durch die zusätzliche Dämmwirkung sowie Verschattung im Sommer erwähnen. Dies gilt sowohl für Fassaden-, als auch Dachbegrünung. Hinzu kommt, dass durch Dachbegrünung die Umgebungstemperatur gesenkt und somit die Leistungsfähigkeit von Solarzellen erhöht wird. Denn die Leistungsfähigkeit von Solarzellen nimmt bei hohen Temperaturen, in der Regel, ab.

Das Thema Schwammstadt ist mittlerweile in den städteplanerischen Gremien angekommen. Hier geht es – und dies ist auch für Unternehmen hochinteressant – um die Versickerung und Speicherung von Regen- sowie Grauwasser (je nach kommunaler Satzung). Biologische Kläranlagen sind auch kostenschonender bei der Klärung von geringfügig belastetem Grauwasser. Darüber hinaus können auch die für Unternehmen anfallenden Gebühren für das Niederschlagswasser in Kommunen mit gesplitteter Abwassergebühr reduziert werden, da durch die Begrünung ein Teil des Niederschlagswassers gespeichert und verdunstet wird.

WIRTSCHAFT ONLINE: Unkompliziert ist auch die Dachbegrünung großer Dachflächen. Worauf ist jedoch zu achten und welches sind die Vorteile?

Jörg Schulze: Es ist zu achten, auf: die Dachkonstruktion und Traglast des Gebäudes, die Substratauflage (Dicke) und Art sowie Ausgestaltung des Gründaches (meteorologische Gegebenheiten, Wasserverfügbarkeit).

Vorteile durch die Dachbegrünung sind: längere Lebensdauer des Daches, die Dämmwirkung und wie schon erwähnt: im Sommer höhere Leistung von Solarzellen durch kühlenden Effekt der Vegetation, abhängig von Art sowie Ausgestaltung des Gründachs.

Unter Umständen erhöht sich auch der Erholungswert. Hier kann als gutes Beispiel die Dachterrasse der Leipziger Elsterpassage in Plagwitz genannt werden. Weitere Vorteile können Imagegewinn, die Schaffung von Lebensraum für vielfältige Arten, Bildungsaspekte (BNE) und die Nutzung durch Urban Gardening (Nahrung für Tier & Mensch) sein.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wie unterstützt Begrünung jedoch den Biodiversitätsaspekt ganz konkret?

Jörg Schulze: Je nach Artzusammensetzung und Substrat bietet das Gründach diversen Organismen einen Lebensraum. Wichtig ist hier die Anpassung der Art des Gründachs an das Klima und die natürlichen Ökosysteme im Umkreis. Ziel sollte es sein, einen dauerhaften Lebensraum zu schaffen, der das ganze Jahr zur Verfügung steht, gegebenenfalls mit technischen Mitteln (Regenwasserbewässerung).  Die Vielfalt an Lebensräumen kann hierbei variieren. Möglich sind auch einzelne Refugien wie etwa Teiche, Totholz- oder Steinhaufen, Hecken oder auch extensiver Bewuchs. Dadurch kann eine höhere Artenzahl erreicht und die Ansiedlung bestimmter Arten forciert werden.

WIRTSCHAFT ONLINE: Gründächer können auch für diverse Umweltmanagement-Zertifizierungen angerechnet werden. Welche sind denn da gemeint und was bringen diese Zertifikate den Unternehmen?

Jörg Schulze: Im Bereich der Umweltmanagementsysteme sind zunächst EMAS und ISO 14001 zu nennen. (EMAS – Eco Management and Audit Scheme, ISO 14001 – internationale Umweltmanagementnorm, Anmerkung der Redaktion)

Durch die strukturierte Erfassung der Stoffströme können insbesondere die Kosten der Abfallentsorgung oder des Abwasser- und Wasserverbrauchs gesenkt werden. Ferner ist es für diverse Stakeholder-Gruppen ein klares Bekenntnis zum Umweltschutz. EMAS ist dabei ein besonders anspruchsvoller Vertreter und bedingt stetige Verbesserungsprozesse, hier können selbstverständlich auch Maßnahmen zur biologischen Vielfalt geltend gemacht werden.

WIRTSCHAFT ONLINE: Neben den Dachbegrünungen sind auch Fassadenbegrünungen möglich und sinnvoll. Welches sind hier die Vorteile?

Jörg Schulze: Auch hier möchte ich als Vorteile aufzählen: die Dämmwirkung, die Verbesserung der Luftqualität (zum Beispiel durch Bindung von Feinstaub), die Förderung der Biodiversität, der Fassadenschutz (beispielsweise UV-Schutz), der ästhetische und Imagegewinn und die Lärmreduzierung auch in den Innenräumen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wirtschaften geht heutzutage auch über das Image, sich hier in grau-neblig und Smog-bringend darzustellen kann negative Reaktionen der Konsumierenden hervorrufen. Deshalb ist das „Green Image“ – unterlegt mit Realitäten – so wichtig. Welche Maßnahmen sind hier unkompliziert möglich? Ich hörte von Blühwiesen …

Jörg Schulze: Gerade zu Beginn kann es sinnvoll sein, sich auf einfache Maßnahmen zu konzentrieren.

Die reduzierte Mahd von Grünflächen, die Anlage von Hecken, Totholz- beziehungsweise Steinhaufen oder Blühwiesen ist hier exemplarisch zu nennen. Für Letzteres stellen diverse Umweltverbände, oder auch das Land Sachsen, kostenlose Saatgut-Mischungen bereit. Dazu berate ich interessierte Unternehmen selbstverständlich gerne.

WIRTSCHAFT ONLINE: In einem Gespräch verwiesen Sie auf ein Zitat, welches Charles Darwin zugerechnet wird: „Alles, was gegen die Natur ist, hat auf Dauer keinen Bestand.“ Hoch gebrochen auf die westliche Zivilisation bedeutet dies, dass wir mit der Zerstörung der Biodiversität, mit dem fortgesetzten Ausrotten der Arten durch Lebensraum-Vernichtung unsere eigene Wirtschaftskultur in ihrem Bestehen ausmerzen. Sind die doch recht unkomplizierten Nachjustierungen, die Unternehmen durch naturnahe Gestaltung ihrer Firmengelände durchführen können, in diesem Kontext überhaupt sinnvoll?

Jörg Schulze: Die unternehmerischen Bemühungen, die Artenvielfalt zu bewahren und zu mehren, muss man in einem größeren Kontext sehen. Unsere Umwelt ist in großen Maßstab anthropogen (anthropogen – von Menschen beeinflusst und verursacht, Anmerkung der Redaktion) geprägt und bietet anderen Lebewesen zunehmend weniger Lebensraum. Da die Flächen vielfach privates oder gewerbliches Eigentum sind, kommt jedem Grundstückseigentümer ein Stück Verantwortung zu. Der Staat muss hierzu die bestmöglichen Rahmenbedingungen schaffen, er kann und sollte sich jedoch nicht zu regulatorisch in die Entscheidungen der Grundstückseigentümer einmischen.

Unternehmen, welche sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind und dementsprechend handeln, werden zukünftig beispielsweise bessere Chancen auf Kreditvergaben und günstigere Zinssätze haben oder ihre Wettbewerbsfähigkeit positiv beeinflussen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Gibt es auch Fördermöglichkeiten für Unternehmen in diesem Segment? Wenn ja, welche?

Jörg Schulze: Auf Bundesebene gibt für Unternehmen folgende Förderprogramme:

– „Förderung der biologischen Vielfalt

– „Umweltschutzförderung der Deutschen Stiftung Umwelt

Darüber hinaus bestehen regionale Initiativen zur Förderung der Biodiversität.

Für Leipzig und unsere Region wären dies unter anderem:

Gründachförderung der Stadt Leipzig

Ökoloewe (Blühwiesensubstrat)

Ökoloewe – Projekt „Kletterfix“ (bis zu 5 Kletterpflanzen kostenlos)

Sachsen blüht (Wettbewerb)

WIRTSCHAFT ONLINE: Und wie hilft die IHK zu Leipzig?

Jörg Schulze: Die IHK zu Leipzig ist seit mehreren Jahren Partner der DIHK-Initiative „Unternehmen biologische Vielfalt“ und unterstützt die Mitgliedsunternehmen beratend in ihren Bestrebungen

die Artenvielfalt zu schützen und, wenn möglich, zu mehren. Dies betrifft diverse, soeben angesprochene Bereiche. Das Beratungsangebot wird derzeit überarbeitet, gerne berate ich interessierte Unternehmen persönlich.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Herr Schulze, für Ihre Zeit und Ihr Engagement.

Ähnliche Artikel

MENSCHEN DER WIRTSCHAFT | Romy Wuttke MENSCHEN DER WIRTSCHAFT

Romy Wuttke

19. Juni 2024

In unserer Serie „Menschen der Wirtschaft“ stellen wir Persönlichkeiten vor, die der regionalen Wirtschaft Impulse geben. In dieser Woche ist dies Romy Wuttke, Co-Gründerin der get a MINT GmbH.

Jetzt lesen
MENSCHEN DER WIRTSCHAFT | Simone Dake MENSCHEN DER WIRTSCHAFT

Simone Dake

12. Juni 2024

In unserer Serie „Menschen der Wirtschaft“ stellen wir Persönlichkeiten vor, die der regionalen Wirtschaft Impulse geben. In dieser Woche ist dies Simone Dake, Inhaberin und Impulsgeberin von Dake Prinzip.

Jetzt lesen
Dr. Iris Minde, Geschäftsführerin St. Georg Unternehmensgruppe Dr. Iris Minde, Geschäftsführerin St. Georg Unternehmensgruppe

Neubau, Restrukturierung, gesundheitliche Daseinsvorsorge

10. Juni 2024

Die gesundheitliche Daseinsfür- und vorsorge ist ein Standortvorteil für die Wirtschaftsregion. Diese gibt es jedoch nicht zum Nulltarif. Dr. Iris Minde agiert deshalb mit ihrem Team strategisch in die Zukunft hinein, baut neu und um und fasst auch Strukturen an. Wir sprachen mit ihr.

Jetzt lesen