Moritz John und Dr. Fabian Magerl besprechen die Parteiprogramme
Das große Interview zum Landtagswahlspezial

„Mehr Lust aufs Unternehmertum“

29. Juli 2024

Dieses Interview ist Teil der WIRTSCHAFT Digital Spezial zur sächsischen Landtagswahl 2024. Die anderen Inhalte finden Sie im FlippingBook und barrierefrei unter www.leipzig.ihk.de/ltwspezial. Die Sonderausgabe flankiert das Wahlforum der Sächsischen IHKs am 15. August 2024. 

Die Landtagswahl am 1. September 2024 fällt in unruhige Zeiten, auch für die regionale Wirtschaft. Mit Dr. Fabian Magerl, Hauptgeschäftsführer der IHK zu Leipzig, und Moritz John, Abteilungsleiter Wirtschaft- und Bildungspolitik, sprachen wir über die wirtschaftspolitischen Erwartungen der sächsischen Unternehmerschaft, parteipolitische Neutralität und die Methodik.

WIRTSCHAFT SPEZIAL: Dr. Magerl, wie würden Sie die derzeitige Lage für die Wirtschaft beschreiben? 

Dr. Magerl: Sie ist herausfordernd. Um die große Linie zu skizzieren: Auf die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 bis 2011 folgte in ganz Deutschland wie in Sachsen und Leipzig ein Boom-Jahrzehnt mit – für unsere Verhältnisse – hohen Wachstumszahlen. 2016 wuchs das BIP in Sachsen um 2,7 Prozent! Leider wurden die sprudelnden Steuereinnahmen nicht genutzt, um Deutschland und Sachsen mit Strukturreformen und Investitionen zukunftsfit zu machen. Ab 2018 gingen Umsätze und Gewinne in der Industrie zurück – was oft ein Vorbote einer Konjunkturdelle ist. Ab 2020 folgten die ökonomischen Schocks Corona und Energiekrise durch den Ukraine-Krieg, die die Konjunktur haben einbrechen lassen und für viele Unternehmen existenzbedrohend waren und sind. Von diesen Extremfällen haben wir uns halbwegs erholt, dennoch sind die politischen Versäumnisse bei Strukturreformen und Zukunftsinvestitionen nicht aufgeholt. Beim Fachkräftemangel, den hohen Energiepreisen, dem Bürokratieabbau, dem Investitionsstau unserer Infrastrukturen – bei all dem kommen wir nicht voran. Das verunsichert Unternehmer und Konsumenten, private und betriebliche Investitionen werden zurückgehalten. Sie sehen also: Es ist eine komplexe und herausfordernde Gemengelage. 

WIRTSCHAFT SPEZIAL: Was sollte der neue Sächsische Landtag dringend angehen, welche Probleme stehen vorne an? 

Fabian Magerl: Das Dauerthema Bürokratieabbau muss oben auf der Agenda bleiben. Hier gibt es keine goldene Lösung oder den einen Kahlschlag, der alles entfesselt, aber der Staatsregierung liegen Vorschläge vor – auch von uns – um Verfahren zu vereinfachen. Die muss sie nur umsetzen! Außerdem brauchen wir in Sachsen gut ausgebildete Facharbeiter. Wir müssen also das Niveau in den Schulen hochhalten und Unterrichtsausfall und Schulabbrüche reduzieren. Ausländische Einwanderer in den Arbeitsmarkt müssen proaktiv angeworben und – wo es in sächsischer Hand liegt – unbürokratisch und schnell integriert werden. Investitionen in die Infrastrukturen sind erfahrungsgemäß ein Standortvorteil im internationalen Wettbewerb. Neben Breitband, Mobilfunk, Schiene, Straße betrifft das auch die Infrastrukturen der Energiewende, wie Wasserstoff, dekarbonisierte Wärmeversorgung oder Anlagen der erneuerbaren Energien. 

WIRTSCHAFT: Herr John, Sie haben in Ihrem Team die Informationen für dieses Heft zusammengetragen. Wie sind Sie vorgegangen? 

Moritz John: Für den Abgleich der Parteiprogramme untereinander und mit den IHK-Positionen haben wir acht Parteigeschäftsstellen zu ihren Positionen befragt. Daraus entstand der kompakte Überblick. Ähnlich lief der Prozess bei den Interviews, mit drei identischen Fragen für vergleichbare Antworten, die bewusst knapp und übersichtlich gehalten sind. Wir haben uns auf Fragen zu Bildung, Arbeitsmarkt und Attraktivität der Selbstständigkeit beschränkt. Für die anderen Themen gibt es den großen Programmvergleich. 

WIRTSCHAFT SPEZIAL: Befragt wurden Spitzenkandidatinnen und -kandidaten von acht Parteien. Allerdings wollen 23 Parteien zur Wahl antreten, wobei die Listen von vier Parteien vom Landeswahlausschuss zurückgewiesen wurden. Bei Redaktionsschluss waren es 19 Parteien, die es auf die Stimmzettel schaffen. Warum wurden für dieses Heft acht Parteien ausgewählt? 

Moritz John: Wir betrachten die fünf Parteien, die im aktuellen Landtag vertreten sind, und drei weitere – das BSW, die Freien Wähler und die FDP – die sich gegebenenfalls Chancen auf einen Einzug ausrechnen können. Das haben wir Anfang des Jahres entschieden und ist natürlich eine Prognose; die Ergebnisse können ganz anders ausfallen. 

WIRTSCHAFT SPEZIAL: Die IHK hat sich dieses Jahr schon zur Europawahl und zu den Kommunalwahlen vielfältig engagiert und ist damit ihrem gesetzlich verbrieften Auftrag zur Interessenvertretung der regionalen Wirtschaft und ihrer Informationspflicht nachgekommen. Welche Aktivitäten entwickelt die IHK zu Leipzig zur Landtagswahl? 

Fabian Magerl: Wir beschäftigen uns als Sächsische IHKs aus Leipzig, Dresden und Chemnitz seit Monaten mit der Landtagswahl und der Interessenvertretung für unsere rund 250.000 Mitgliedsunternehmen. Was erwarten die Unternehmerinnen und Unternehmer von der neuen politischen Führung, wo drückt der Schuh? Dazu haben wir im Herbst eine Umfrage gestartet und aus rund 1.700 Datensätzen fünf wirtschaftspolitische Schwerpunktthemen herausgearbeitet. Die haben wir in unseren IHK-Branchenausschüssen diskutiert und politische Forderungen ausgearbeitet. Daraus sind die IHK-Wahlprüfsteine entstanden: Auf 16 Seiten fassen wir die wirtschaftspolitischen Erwartungen der sächsischen Unternehmerschaft an die neue Staatsregierung zusammen. Sie gingen an alle Kandidaten zum neuen Landtag. Zwei Wochen vor der Wahl veranstalten wir ein Wahlforum, bei dem sich die acht Spitzenkandidaten live den Fragen von rund 200 Unternehmerinnen und Unternehmern in Leipzig stellen. Nach dem 1. September wird es erst richtig spannend. Wir wollen, dass sich die Stimme der Unternehmerschaft in den Verhandlungen zur neuen Regierung und im Koalitionsvertrag wiederfindet. Hierzu wird es Hintergrundgespräche geben, wie wir sie im Interesse unserer Mitgliedsunternehmen nicht nur in Wahljahren, sondern permanent führen. 

WIRTSCHAFT SPEZIAL: Die IHK zu Leipzig bekennt sich klar zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie und postulierte in einer Pressemitteilung den Schlüsselsatz: „Allen politischen Akteuren stehen wir für einen konstruktiven Austausch und als lösungsorientierter Partner jederzeit zur Verfügung.“ Können Sie das bitte konkretisieren? 

Fabian Magerl: Als IHK haben wir klare rechtliche Vorgaben für unsere politische Kommunikation. Das heißt, wir sind parteipolitisch absolut neutral und bereit zu Gesprächen mit allen Parteien auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Natürlich ist die Debattenkultur aufgeheizt; umso wichtiger ist der gegenseitige Respekt. Grundsätzlich stehen wir für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – nicht nur, aber auch, weil sie für das Wirtschaften unserer Mitgliedsunternehmen unverzichtbar sind. Denn wir brauchen in Sachsen mehr Lust aufs Unternehmertum. 

WIRTSCHAFT SPEZIAL: Vielen Dank für das Gespräch.

Wahlforum der Sächsischen IHKs

Vor der Landtagswahl wollen wir mit den Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten sowie Unternehmerinnen und Unternehmern in angenehmer Atmosphäre ins Gespräch kommen. Wir laden Sie zu einem abwechslungsreichen Abend zu wirtschafts- und finanzpolitischen Themen, moderiert von Wiebke Binder, mit Podiumsdiskussion und Get-Together ein.

Datum: 15. August 2024
Uhrzeit: 18:00 Uhr
Location: Kupfersaal, Leipzig

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