Agil Ina Volkhardt Heike Delling
Nahversorgung zur Stärkung der regionalen Wirtschaft

Lücken in Lieferketten finden und schließen

04. Mai 2023

Gespräch mit Dr. Ina Volkhardt und Heike Delling von der AgiL – Sächsische Agentur für Regionale Lebensmittel

Gesundes und strategisch zukunftsfähiges Wirtschaften funktioniert wie ein Zahnradgetriebe. Gerade im suburbanen bis ländlichen Raum müssen unterschiedliche Unternehmen miteinander agieren. Dies beinhaltet auch, dass sie voneinander wissen. Nahversorgung ist hier der Begriff der Stunde. Regionale Lieferketten, die unabhängig von globalen Krisenentwicklungen sicher und vertrauensvoll ineinandergreifen, können eine Lösung sein. Dr. Ina Volkhardt und Heike Delling arbeiten genau hier an der Schnittstelle zwischen Produzierenden und Handel. WIRTSCHAFT ONLINE sprach mit ihnen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Guten Tag, Frau Dr. Ina Volkhardt und Heike Delling. Sie haben beide die Teamleitung inne bei der AgiL (Sächsische Agentur für Regionale Lebensmittel). Ihr Thema ist das Regional-Marketing, die Vernetzung regionaler Lebensmittelunternehmen sowie die Förderung sicherer regionaler Lieferketten. Beim Fachtag Land- und Ernährungswirtschaft am 28. März 2023 im Eilenburger Bürgerhaus sprachen Sie, Frau Ina Volkhardt zum Thema „Aus Sachsen und für Sachsen – hiesige Lebensmittelproduktion stärkt die ganze Region.“ Aber wie? Wie konkret wird die ganze Region gestärkt?

Dr. Ina Volkhardt: Regional zu produzieren und zu kaufen hat ja mehrere Vorteile – für die Umwelt, wenn Wege gespart werden, für den Erhalt der Kulturlandschaft, für die Strukturen gerade im ländlichen Raum. Wenn Arbeitsplätze erhalten oder gar geschaffen werden im ländlichen Raum, dann stärkt das die Region. Auch, wenn dadurch wieder ein Stück Heimat und Verbundenheit transportiert wird, mehr Bezug zum Lebensmittel und zum Landwirt und den Unternehmen vor Ort. Schlussendlich geht es auch hier um Transparenz und Vertrauensbildung.

WIRTSCHAFT ONLINE: Sie bieten Informationen und Anregungen zu regionalen Wertschöpfungsketten an. In welchen Segmenten? Wie gehen Sie dabei in die Tiefe?

Heike Delling: Es gibt ja Gründe, weshalb nicht die gesamte Wertschöpfungskette – zum Beispiel vom Getreide, über die Mühle, den Bäcker bis hin zu Logistik und Einzelhandel – regional ist. Wo sind die Lücken? Diese versuchen wir zu identifizieren und Lösungen zu finden, sie zu schließen. Das kann durch den Anbau neuer Sorten sein, die Unterstützung beim Bau einer Verarbeitungsanlage, beim Herstellen einer sinnvollen Logistik von Unternehmen A zu Unternehmen B und so fort.

Dr. Ina Volkhardt: Wir beschränken unsere Beratungs- und Informationsleistungen nicht nur auf einzelne Lebensmittelgruppen, sondern beziehen alle Akteure entlang der Kette mit ein. Wir gehen so tief, wie es nötig ist, um ein Problem zu lösen. Manchmal reicht eine Beratung, beispielsweise zu Lebensmittelkennzeichnung, wenn ein Produzent nun auch direkt vermarkten und einen Hofladen nutzen möchte. Manchmal braucht es einen langen Prozess mit vielen Beteiligten, um etwa eine mobile Schlachtung in Sachsen aufzubauen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Wer meldet sich mit seinen Fragen bei Ihnen?

Dr. Ina Volkhardt: Jeder, der regional herstellen, produzieren oder wirtschaften möchte – das ist ganz verschieden. Vom Eierlikörproduzenten, der regionale Eier haben möchte, über die Getreidebauern, die ein gemeinsames Druschfruchtlager aufbauen wollen, bis zum Unternehmenszusammenschluss, der regionale Produkte unter einer gemeinsamen Marke auch touristisch vermarkten möchten. Wir haben wirklich alles dabei.

Heike Delling: Auch die Hintergründe sind ganz verschieden. Wirtschaftsunternehmen haben andere Interessen als beispielsweise die Bürgerinitiative, die eine Art Depot für Eier, Milch, Obst und Gemüse aus der Umgebung aufbauen möchte, weil die Nahversorgung im Ort fehlt. Ein einzelner Hersteller von Aufstrichen in einer kleinen Manufaktur ist anders aufgestellt als ein bundesweit agierendes Lebensmittelunternehmen, das aber einen kleinen Teil der Produktion in der Region betreiben, vermarkten und auch bewerben möchte. Letztendlich geht es immer um Lebensmittel von hier, für hier.

WIRTSCHAFT ONLINE: Gerade die Häufung globaler Krisen unterschiedlichster Qualitäten zeigt auf, dass die Nahversorgung sicherer und oft auch qualitativ hochwertiger ist. Trotzdem scheint es, als ob diese Idee völlig neu wäre. Wie ist Ihre Erfahrung in den Landkreisen und in der Stadt? Wie ist die Resonanz auf das Wiederentwickeln der Nahversorgungs-Konzepte?

Heike Delling: Da ist durchaus Bewegung, aber es muss aus der Gemeinde herauskommen. Es gibt aktuell zahlreiche Unterstützungsangebote und auch Anschubfinanzierungen, aber letztlich muss sich jemand finden, der es auch wirklich handelt. Das kann ein Verein sein, eine Bürgerinitiative oder auch ein Ladenbetreiber – eine Person mit Energie, die das voranbringt. Wir können Unterstützung bieten, der Anschub muss von den Akteuren vor Ort selbst kommen.

Dr. Ina Volkhardt: Und wie das Ganze realisiert wird, ist völlig offen – wird es eine Art Lager geben im Dorf für Lebensmittel, die man nach Bestellung abholen kann? Einen 24h-Supermarkt ohne Personal wie in Friedewald? Einen Hofladen, der sein Sortiment um andere Waren des täglichen Bedarfs erweitert? Die Gestaltung ist völlig frei.

WIRTSCHAFT ONLINE: Welche Konzepte in der Nahversorgung müssen unbedingt bekannter gemacht werden?

Heike Delling: Ich sehe einen zukunftsfähigen und nachhaltigen Nutzen in jenen Konzepten der Nahversorgung, die das Engagement jedes Akteurs entlang der Wertschöpfungskette abverlangt und nichts selbstverständlich macht. Wenn eine bewusste unternehmerische Entscheidung für regionale und transparente Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung sowie eine Kaufentscheidung bewusst durch die Konsumierenden getroffen wird, dann erreichen wir eine stabile Nahversorgung mit Wertschätzung und Zukunftstauglichkeit. Diese Merkmale finden sich teilweise in der solidarischen Landwirtschaft, der Direktvermarktung sowie bei regionalen Marken wieder.

WIRTSCHAFT ONLINE: Der regionalen Landwirtschaft kommt eine immense Bedeutung bei den Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Biodiversität zu. Wie ist die hiesige Landwirtschaft darauf vorbereitet? Welche Vorteile können den hiesigen Unternehmen durch die derzeitigen Transformationsprozesse erwachsen?

Heike Delling:  Den Klimawandel abzuschwächen und sich darauf einzustellen, die Nachhaltigkeit im Unternehmen zu steigern und Biodiversität zu fördern, stellt alle Unternehmen der Landwirtschaft gleichermaßen vor Herausforderungen. Der Transformationsprozess der Landwirtschaft läuft und wird auf allen Ebenen vorangetrieben: Die Praxis passt sich an und lenkt die Unternehmen in die Zukunftsfähigkeit, die Wissenschaft und Beratung begleiten und prognostiziert die Tauglichkeit von Handlungsszenarien und die Gesellschaft und Politik lenken durch Rahmenbedingungen und Wertschätzung die Landwirtschaft. Ein Aufbruch, der alle betrifft, denn in diese einschneidenden Veränderungen gehen sonst nur wenige Pioniere – das wäre zu wenig. Wenn es so tatsächlich ein von allen Akteuren gemeinsam wahrgenommener Prozess ist, dann haben alle einen Vorteil daraus. Mit mehr Regionalität in der Lebensmittelversorgung lassen sich die Kooperationen steigern und die Umweltfaktoren nachhaltiger gestalten. AgiL unterstützt die Akteure bei diesen aufwendigen Veränderungen hin zu mehr Regionalität und Nachhaltigkeit.

WIRTSCHAFT ONLINE: Am 6. Januar 2023 referierten Sie, Frau Dr. Ina Volkhardt, in Ihrer digitalen Sprechstunde „AgiL bespricht“ über innovative Lebensmittel. Was muss ich mir denn darunter vorstellen? Worüber sprechen Sie denn da in dieser Sprechstunde?

Dr. Ina Volkhardt: Algen im Joghurt? Bio-Aufstriche mit selbst gepresstem Rapsöl? Fermentierter Tee mit Kefir als Alternative zur Limonade? Viele Leute starten mit einer guten, pfiffigen Idee und beabsichtigen diese im Lebensmittelbereich umsetzen oder auch ein bestehendes Angebot clever zu erweitern. Es ist schade, wenn die guten Ideen dann an rechtlichen Hürden scheitern. Das fängt bei dem Namen an, denn nicht alle Bezeichnungen sind möglich, über die Kennzeichnung des Etiketts bis hin zur Frage, wie ich damit werben darf. Mit Aussagen wie „Die gesunde Schokolade“ wäre ich vorsichtig, mit „mein Wohlfühl-Joghurt“ gibt es schon mehr Spielraum. Hier gebe ich einen wirklich kurzen Überblick über rechtliche Grundlagen. Aber vertiefend können wir das in einer Beratung fortführen.

WIRTSCHAFT ONLINE: Gerade auch bei den Verkaufsverpackungen zeichnen sich Trends ab, die der Nachhaltigkeit zugutekommen. Welche wären dies?

Dr. Ina Volkhardt: Da gibt es tatsächlich einige. Es gibt etwa deutlich mehr Pfandbehälter statt Einweg bei sogenannter „loser Ware“, also beispielsweise bei Kaffee to-go, Essen zum Mitnehmen etc. Das hängt natürlich auch mit einer geänderten Gesetzeslage zusammen, die seit Anfang des Jahres eine Pflicht für das Angebot von Mehrwegverpackungen vorsieht (siehe hier auch den Mitschnitt unserer Regionalmarketing-Akademie „Änderungen im Verpackungsgesetz – Chancen für Mehrweg“), aber nicht nur. Letztlich ist es auch die Nachfrage des Kunden und die Frage, ob es praktikabel in der Umsetzung ist. So gibt es insbesondere gerade Pfandbecher für Kaffee zum Mitnehmen, die nicht nur dorthin zurückgebracht werden können, wo ich den Kaffee kaufe, sondern auch in viele andere Läden und Gastro-Betriebe. Noch ein Trend ist sicherlich die umweltschonende Herstellung von Einweg-Verpackungen – es wird auf die Verwendung recycelter Materialien hingewiesen, auf klimaschonende Produktion, auf die Einsparung von Materialmenge durch unter anderem dünnere Verpackungen, mehr Papier statt Kunststoff etc. Hier muss man jedoch genau hinschauen: Papier wird oft braun eingefärbt, damit es wie recyceltes Papier aussieht (speziell bei Servietten oder Milchkartons), dabei sind recycelte Materialien meist farblich kaum von neu hergestelltem Zellstoff zu unterscheiden. Viele Organisationen wie die Verbraucherzentralen oder die Deutsche Umwelthilfe sehen Werbung mit „klimaneutraler“ Verpackung kritisch, weil es sehr intransparent ist, was das bedeutet und es nicht überprüfbar ist. Tatsächlich stellen viele Firmen solche Werbung aktuell wieder ein.

WIRTSCHAFT ONLINE: Danke, Dr. Ina Volkhardt und Heike Delling, für Ihre Zeit und Ihre Antworten.

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