Eine Kreislaufwirtschaft für Leipzig
14. Februar 2023Die Stadt Leipzig hat die Erarbeitung und Umsetzung einer Zero Waste-Strategie beschlossen und die IHK zu Leipzig begleitet den Prozess wohlwollend. Dabei haben wir natürlich, laut dem am Procedere beteiligten IHK zu Leipzig-Kollegen Jörg Schulze (Umweltberatung), die Interessen unserer Mitgliedsunternehmen im Auge; hier ganz besonders, dass durch die neu zu entwickelnde Strategie für hiesige Unternehmen keine wirtschaftlichen sowie Wettbewerbsnachteile entstehen.
WIRTSCHAFT ONLINE sprach deshalb mit der Projektverantwortlichen Julia Görner von der Stadtreinigung Leipzig, die schon viel zur Idee und Ausrichtung sowie zum Zeitstrahl sagen kann.
WIRTSCHAFT: Guten Tag, Frau Görner. Zero Waste? Null Müll? Echt? Können Sie uns bitte erklären, wie das funktionieren soll oder gibt es eine ganz andere Zielstellung?
Julia Görner: Zero Waste wird häufig fälschlicherweise mit „Null Abfall“ übersetzt. Wir streben hingegen an, uns weg von einer linearen Abfallwirtschaft, hin zur echten Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Es soll dem weitverbreiteten Irrglauben entgegen also nicht darum gehen, gar keine Abfälle mehr zu produzieren, sondern die Verschwendung von Ressourcen zu minimieren. Dabei geht es auch um die Wiederverwertung von Rohstoffen, um Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu entlasten. Eines der großen Ziele ist es daher die Menge an Restabfällen bis 2030 um 10 Prozent zu senken, da diese Abfallfraktion die geringste Recyclingquote aufweist.
Um der falschen Übersetzung und damit auch einer falschen Auffassung des Ziels entgegenzuwirken, haben wir mittels eines Ideenwettbewerbs einen neuen Slogan für das Vorhaben gefunden. Dieser lautet nun: „Mein Leipzig schon‘ ich mir! – Ressourcen sparen, Zukunft wagen“.
WIRTSCHAFT: Sie sind die Projektleiterin für ZERO WASTE, angesiedelt bei der Stadtreinigung Leipzig. Was ist denn schon alles geschehen innerhalb des Projekts?
Julia Görner: So richtig Fahrt aufgenommen hat das Zero-Waste-Vorhaben mit dem Stadtratsbeschluss im Mai 2022, in dem die Zero-Waste-Ziele für Leipzig definiert wurden: 10 Prozent weniger Restabfall, 10 Prozent weniger Siedlungsabfälle, die Konservierung und langfristige Sicherung des hohen Niveaus getrennt gesammelter Abfälle und die Unterstützung des Gewerbes zur Verringerung der Restabfälle. Daraufhin wird aktuell eine gesamtstädtische Zero-Waste-Strategie von der Stadtreinigung Leipzig in Zusammenarbeit mit verschiedenen Stakeholdern und Akteur/-innen sowie der gesamten Stadtbevölkerung erarbeitet. Die Strategie soll nach einem positiven Stadtratsbeschluss ab 2025 umgesetzt werden.
Doch schon vor dem offiziellen Beschluss der Stadt, Zero Waste City zu werden, hat die Stadtreinigung Leipzig über verschiedenste Bildungsangebote und durch die Öffentlichkeitsarbeit die Bürgerinnen und Bürger darüber informiert, wie Abfälle korrekt getrennt oder wie Müller vermieden werden kann.
Diese Bildungsarbeit wird seit Beginn des Projektes noch weiter intensiviert und erhält ein noch stärkeres Profil.
Als erstes hatten wir im Mai das Pilotprojekt „Leipziger Reparaturbonus“ in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL) gestartet. Hier ging es darum, den Bürgerinnen und Bürgern die Reparatur als Alternative zum Neukauf wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen. Dabei arbeiteten wir mit lokalen Handwerksbetrieben zusammen, die durch das Programm von der gesteigerten Aufmerksamkeit für ihre Betriebe profitierten. Die Auswertung des SMEKUL ergab, dass im Rahmen des Projektes 682 Produkte repariert wurden. Rund 40 Prozent der Nutzer/-innen gaben an, durch das Bonusprogramm zur Reparatur motiviert worden zu sein. Der Erfolg des Projektes führte auch dazu, dass aktuell über ein sachsenweites Reparaturbonus-Programm im Doppelhaushalt des Landtags abgestimmt wird.
Parallel dazu haben wir angefangen auf verschiedenen Ebenen in der Stadt Zustands- und Bedarfsanalysen durchzuführen. Hierfür wurde in Workshops mit allen städtischen Ämtern und Institutionen sowie mit verschiedenen Initiativen und Vereinen analysiert, welche Bemühungen bereits unternommen werden, um Rohstoffe zu sparen und wo noch weiter angesetzt werden kann. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden am 22. November bei einer öffentlichen Veranstaltung vorgestellt und den Bürger/-innen die Möglichkeit geboten, eigene Ideen und Ansätze mit einzubringen.
Ansonsten dazu organisierten wir anlässlich der Europäischen Woche der Abfallvermeidung, die vom 19. bis 25. November stattfand, einen temporären Tauschmarkt im Stadtbüro. Dabei ging es vorrangig darum, die Bürger/-innen für eine Wiederverwendung von gebrauchten Gegenständen zu sensibilisieren. Darüber hinaus bot der Tauschmarkt für uns die Möglichkeit, erste Erfahrungen für das geplante Second-Life-Kaufhaus zu sammeln, das in der Stadt eröffnet werden soll.
Zu guter Letzt erarbeiten wir aktuell ein Beratungs- und Förderprogramm bezüglich Mehrwegsystemen für Gastronomiebetriebe. Mit dem Inkrafttreten der Novelle des Verpackungsgesetztes sind Gastronomiebetriebe mit einer Ladenfläche von mehr als 80 m˛ bei ihren To-Go-Angeboten dazu verpflichtet, ein Mehrwegsystem als Alternative für Einwegkunststoffverpackungen anzubieten. Wir möchten die Gastronomiebetriebe mit dem Programm bei der Einführung dieser Systeme unterstützen, indem wir ihnen Möglichkeiten aufzeigen.
WIRTSCHAFT: Und welchen Zeitstrahl planen Sie in Richtung Zukunft bis zum Abschluss des Projektes?
Julia Görner: Mit unseren laufenden Beteiligungsformaten erarbeiten wir aktuell die Leipziger Zero-Waste-Strategie. Die damit verbundenen Ziele sollen mit Umsetzung der Strategie und einer Vielzahl an Projekten bis zum Jahr 2030 erreicht werden.
Abgeschlossen ist das Projekt mit dem Jahr 2030 wahrscheinlich noch lange nicht. Denn wenn wir die Ziele unserer Zero-Waste-Strategie erreicht haben werden, wird es trotzdem noch genug zu tun geben, bis wir eine wirkliche Kreislaufwirtschaft in Leipzig etabliert haben.
WIRTSCHAFT: Wer ist alles beteiligt?
Julia Görner: Wir arbeiten aktuell eng mit den verschiedenen Ämtern in der städtischen Verwaltung zusammen sowie mit dem Leipziger Bündnis Abfallvermeidung. Für die nahe Zukunft ist eine enge Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsverbänden geplant, um auch die lokalen Betriebe stärker mit einzubinden. Ebenso schauen wir, wie wir weiterhin die Zivilgesellschaft einbinden können. Denn nur, wenn das Vorhaben von allen Ebenen dieser Stadt getragen wird, kann es gelingen.
WIRTSCHAT: Die IHK zu Leipzig berät ihre Mitgliedsunternehmen auch bei den Themen Ressourcenschonung und Vermeidung von Abfall. Wie können Unternehmen jedoch aus Ihrer Sicht, Frau Görner, selbst Einfluss nehmen?
Julia Görner: Ein erster Schritt ist, sich an die eigene Nase zu fassen und das eigene Abfallsystem und -aufkommen unter die Lupe zu nehmen: Trennt das Unternehmen seine Abfälle richtig? Gibt es Möglichkeiten, die Abfälle zu reduzieren? Gibt es Optimierungsmöglichkeiten bei den Produkten, um beispielsweise deren Lebensdauer zu verlängern?
Der schöne Nebeneffekt von Abfallreduzierung ist ja glücklicherweise auch die Geldersparnis aufgrund der reduzierten Entsorgungskosten.
Bei einem Bedarf an Informationen oder einer Beratung kann unser Stadtreinigungs-Bildungsteam Abhilfe leisten. Wir freuen uns immer sehr, wenn die Unternehmen von sich aus Interesse an der Kreislaufwirtschaft zeigen.
WIRTSCHAFT: Welche Felder beim Projekt Zero Waste sind für Unternehmen 2023 besonders wichtig?
Julia Görner: Im Rahmen der Erarbeitung einer Zero-Waste-Strategie werden wir im ersten Halbjahr 2023 verschiedene Workshops veranstalten, zu denen wir unsere lokalen Wirtschaftsunternehmen gerne einladen möchten. In den Workshops werden Maßnahmen entwickelt, welche den Kern der Zero-Waste-Strategie bilden werden. Bei Interesse können sich die Unternehmen schon jetzt bei uns anmelden.
Speziell für unsere Gastronomiebetriebe wird außerdem die Novelle des Verpackungsgesetztes interessant, die am 1. Januar 2023 in Kraft getreten ist. Wie bereits erwähnt, werden wir ein Beratungs- und Förderprogramm für die Leipziger Gastronomiebetriebe schaffen, um den Einstieg in die Nutzung von Mehrwegsystemen zu vereinfachen.
Früher oder später wird das Thema Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft sicher jedes Unternehmen erreichen. Je früher die Unternehmen sich mit dem Thema auseinandersetzen, desto besser können sie die zukünftigen Entwicklungen mitgestalten.