Interview IHK zu Leipzig – wirtschaft Digital-Spezial 2022 13 WIRTSCHAFT: Seit sieben Jahren sind Sie Landrat des Landkreises Leipzig. Wo steht der Landkreis Leipzig in Fragen des Onlinezugangsgesetzes? Mit Beginn 2023 soll ja schon sehr viel möglich sein … Henry Graichen: Alle Bürgerinnen und Bürger sollen künftig über einen Zugang alle Verwaltungsdienste abrufen können, egal, ob es sich um Aufgaben des Bundes, der Länder oder der Kommunen bzw. der Landkreise handelt. Diese Idee steckt hinter dem Onlinezugangsgesetz, das viel Schwung in die Digitalisierung gebracht hat. Dies bis Ende 2022 umzusetzen, wird uns in Deutschland nicht gelingen, das sieht auch der Normenkontrollrat so. Was aber insgesamt an Fahrt aufgenommen hat, ist die weitere Digitalisierung der öffentlichen Stellen. Sehr viel hat auch die Pandemie bewirkt. So manche verkrusteten Systeme im Gesundheitswesen wurden aufgebrochen, plötzlich war hier vieles möglich. Im Landkreis Leipzig arbeiten heute viele Ämter selbstverständlich mit elektronischen Akten, das bedeutet, der Zugriff und der Austausch der Informationen erfolgt digital. Arbeiten Bauaufsichtsamt und Umweltamt an einem Verfahren, werden keine Akten und Pläne mehr hin und her transportiert, sondern über ein Verwaltungsinformationssystem ausgetauscht. Für die Bürgerinnen und Bürger ist allerdings noch wenig Konkretes zu sehen. Möglich sind bereits die digitale Kfz-Abmeldung, Anträge auf Wohngeld, Landesblindengeld oder das Bundeselterngeld. Alle Anträge und Informationen zu Verwaltungsleistungen sind als PDF auch auf Amt24 hinterlegt, welches künftig das Zugangsportal für Sachsen bilden soll, ebenso auf unserer Website. Die Formulare können meist online ausgefüllt und teilweise auch versandt werden. Oft müssen sie aber ausgedruckt und mit den Anlagen per Post versandt werden. Ziel wären hier zum Beispiel, Eingabemasken mit einer Funktion zum Hochladen von Dokumenten, wie wir sie aus anderen Bereichen kennen. Wir sind in Deutschland noch lange nicht dort, wo wir sein wollen, aber die Fortschritte sind nicht zu übersehen. In Estland, so wird berichtet, gebe es nur drei Dinge, die nicht digital erledigt werden können: die Heirat, die Scheidung und der Immobilienkauf. WIRTSCHAFT: Sie selbst schlossen 1999 Ihr Studium als Diplom-Verwaltungswirt an der Fachhochschule für Sächsische Verwaltung in Meißen ab, sind also von Anfang an bei der Digitalisierung dabei. Welches waren die größten Hemmnisse und welches die größten Pluspunkte für den Landkreis Leipzig bei der Digitalisierung der Verwaltung? Henry Graichen: Wer digitale Anträge stellt, muss sich auch rechtssicher ausweisen, hier liegt eines der größten Hemmnisse. Der moderne Personalausweis dient als elektronische Signatur, wenn man diese Funktion freischaltet. Dies nutzen bislang aber nur sehr wenige Bürgerinnen und Bürger, sodass beispielsweise die DE-Mail, mit der rechtsverbindliche Anträge möglich waren, in der Vergangenheit ins Leere lief. Wenn jetzt die Lösung über Portale geschaffen wird, bei der sich die Bürgerinnen und Bürger nur einmal für alle möglichen Verwaltungsvorgänge registrieren müssen, ist das sicherlich der richtige Weg. Ein weiterer Hemmschuh ist auch das fehlende IT-Personal. Hier ist der Arbeitsmarkt leergefegt, das bremst uns alle aus. Für uns einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung haben wir mit der Einführung von flexiblen Arbeitsplätzen in der Landkreisverwaltung gemacht. Ein Großteil der Mitarbeitenden kann sich jetzt über sogenannte Flexbooks von überall sicher ins Landkreissystem einwählen und arbeiten. Auch das dient der schnelleren Bearbeitung von Vorgängen. WIRTSCHAFT: Welche Chancen birgt das OZG in Ihrer Region? Henry Graichen: Im Idealfall verbessert sich die Kommunikation zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und den Sachbearbeitenden in den Ämtern. Möglicherweise wird künftig jeder sehen können, wie weit der Antrag bearbeitet ist. Hier wird es künftig mehr Transparenz geben. Weil die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen Dienst- und Verwaltungsleistungen von den Kommunen und Landkreisen über die Länder bis zum Bund nachfragen, ist eine gute Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes für den Standort Deutschland insgesamt wichtig. WIRTSCHAFT: Bevor Sie Landrat wurden, waren Sie Bürgermeister für Neukieritzsch. Gerade Gemeinden wie diese sind demografisch – aber auch vom Ausbau der Leitungen her – schlechter aufgestellt als zum Beispiel Studentenstädte wie Leipzig. Wie können gerade ältere Menschen an den digitalen Angeboten partizipieren? Henry Graichen: Viele ältere Menschen sind sehr fit im Umgang mit dem Computer oder den mobilen Geräten, das sollte man nicht unterschätzen. Unsere Volkshochschule gibt Kurse und Anleitungen – und auch im privaten Umfeld wird gut geholfen. Es ist zwar Ziel des OZG, alle Verwaltungsleistungen online anzubieten, den Bürgerinnen und Bürgern soll es aber freistehen, Anträge auch künftig noch persönlich einzureichen. WIRTSCHAFT: Was kann besser gemacht werden? Henry Graichen: Nach dem OZG sollten 575 Verwaltungsdienste bis Ende 2022 digital verfügbar sein. Diese sind aber von Land zu Land in den Landkreisen und Kommunen unterschiedlich ausgestaltet. Wir alle haben in den letzten Jahren sehr viel in unsere IT gesteckt, Fachprogramme entwickelt oder auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet. Diese Entwicklungen bedeuten einen großen Kraftakt. Wollen wir hier schnelle Erfolge für die Bevölkerung und Wirtschaft erreichen, wäre der Weg über die Konzentration auf Massenverfahren, also solchen, die sehr viele Menschen betreffen, vorzuziehen. WIRTSCHAFT: Danke für Ihre Zeit und Ihre Antworten.
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