proteste der Landwirte gegen ein Liberalisierungsgesetz der indischen Regierung zu verstehen, die letztlich dazu geführt haben, dass die strittigen Gesetze widerrufen wurden. Zwar ist eine Reform der indischen Landwirtschaft angezeigt, jedoch scheint die betroffene Bevölkerung einen anderen, noch auszu- handelnden Pfad beschreiten zu wollen. Trotz der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte und der Wohlstandzuwächse der letzten Jahrzehnte steht die indische Wirtschaft vor einigen Herausforderungen. Ein gravierendes Beispiel ist die im Land vorhandene und weit verbreitete absolute Armut. Nach Daten des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen sind 230,7 Mio. Menschen im Land von absoluter Armut betroffen. (Gemessen am Multidimensional Poverty Index) Die hiermit einhergehende Ungleichheit von Vermögen führt dazu, dass sich das immense Absatz- und Kaufkraftpotenzial des indischen Binnenmarktes noch weiter entwickeln kann und muss. Ferner stellen Arbeitslosigkeit und Bildungsmangel eine Herausforderung dar. Hierbei gilt zu beachten, dass diese Herausforderungen teils sehr ungleich in der Bevölkerung verteilt sind. Indien gilt gemeinhin als Herkunftsland vieler sehr gut qualifizierter Fach- und Spitzenkräfte. Dies ist unbestritten, es lässt sich aber ein Bildungsgefälle im ländlichen Raum feststellen und wird teils durch kulturimmanente Faktoren verstärkt. Der negative Komplex von Unterprivilegierung in der Bildung, Arbeitslosigkeit und Armut wurde in den letzten Jahrzehnten jedoch deutlich abgebaut. Ein weiteres strukturelles Hemmnis der indischen Wirtschaft ist die Unterentwicklung der Infrastruktur. Insbesondere die Straßeninfrastruktur und das leistungslimitierte Eisenbahnnetz stechen hier hervor. Der Zugang von Haushalten und Unternehmen zu sauberem Wasser und einer geeigneten Sanitär- und Abwasserinfrastruktur ist ebenfalls ausbaubedürftig. Umweltprobleme im Allgemeinen und Luftverschmutzung, Wassermangel und Abfallentsorgung im Speziellen stellen ebenfalls große Herausforderungen dar. Mit Blick auf die wahrscheinlichen Szenarien des Klimawandels in Indien wird deutlich, wie problematisch die Herausforderungen der Ernährungssicherheit, der Wasserversorgung und der Gesundheitsversorgung werden. Bereits im Mai letzten Jahres meldete die indische Hauptstadt Neu-Delhi einen Hitzewert von 49 Grad, knapp unter dem Landesrekordwert bei 51 Grad in Phalodi, Rajasthan aus dem Jahr 2016. In der Metropolregion Delhi leben rund 31 Mio. Menschen. Dies zeigt die Skala, auf der Maßnahmen zum Schutz vor und zur Bekämpfung des Klimawandels im Land getroffen werden müssen. Indiens Wirtschaft ist leistungsfähig, Staat und private Akteure sind in der Lage, nötige Investitionen sukzessive zu tätigen, kennen die Herausforderungen und reagieren. Was sich also auf den ersten Blick als ein Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung darstellen mag, ist auf den zweiten Blick vor allem eins: ein Geschäftsfeld. Denn die angerissenen Problemstellungen erfordern Lösungen, diese bergen die Chance auf einen direkten oder kooperativen Markteintritt. Über 1.600 deutsch-indische Kooperationen und 600 Joint Ventures sind laut Daten der nationalen indischen Investitionsagentur auf dem indischen Markt vertreten. Der Markteinstieg in ein Land mit solch kultureller Vielschichtigkeit, die sich auch im Geschäftsleben und Bürokratieapparat spiegelt, will jedoch gut vorbereitet und passend besichert sein. Es erfordert gewiss auch einen langen unternehmerischen Atem. Tobias Runte 7 Außenwirtschaftsnachrichten 06/2023 Länder und Märkte
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